70. Jahrestag der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald – Ansprache von Uli Schneider, Generalsekretär der FIR

geschrieben von VVN-BdA Aachen

13. April 2015

, ,

Die Selbstbefreiung des KZ Buchenwald erinnert an ein zentrales Ereignis im gemeinsamen europäischen Kampf der Anti-Hitler-Koalition für die Befreiung aller Völker von Faschismus und Krieg. Der 11. April 1945 ist genauso symbolhaft wie der 27. Januar 1945, an dem die sowjetischen Truppen das Vernichtungslager Auschwitz befreiten, oder der 4. Mai 1945, an dem die Befreiung der Niederlande durch die militärische Kapitulation der faschistischen Wehrmacht besiegelt wurde. Diese Daten sind tief im europäischen Gedächtnis verankert, auch wenn extreme Rechte und rechtspopulistische Kräfte versuchen, diese Erinnerung durch ein verändertes Geschichtsbild zu revidieren. Insbesondere durch dem Bürgerkrieg in der Ukraine wurden und werden wir mit verheerenden Veränderungen der geschichtspolitischen Erinnerung konfrontiert. Ich will nur einige Ereignisse dieses Jahres in Erinnerung rufen: Es fing wieder einmal mit einem Gedenkmarsch zu Ehren des Nazikollaborateurs Stepan Bandera in Kiew zur Jahreswende an. Bezeichnenderweise meldeten – wenn überhaupt – die deutschen Medien diesen Massenaufmarsch der offen faschistischen Kräfte nur in einer Nebenbemerkung. Wenige Tage später verblüffte der ukrainische Regierungschef Jazenuk die Öffentlichkeit bei seinem Besuch in Berlin mit der Aussage, die Welt erinnere sich noch gut an den sowjetischen Anmarsch auf die Ukraine und nach Deutschland. Das müsse man heute vermeiden. Es zeigte die Voreingenommenheit der Interviewerin der ARD, dass sie diese Aussage nicht einmal hinterfragte, sondern unkommentiert als ernstzunehmende These eines Regierungschefs akzeptierte. Es ist ein problematisches geschichtspolitisches Signal, wenn der Befreiungskampf um das okkupierte sowjetische Territorium und die mühevolle militärische Zerschlagung der faschistischen Armee als quasi „Invasion“ denunziert werden konnte. Ein ähnlich problematisches Verhalten zeigte die polnische Regierung im Zusammenhang mit den Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die sowjetische Armee am 27. Januar 1945. Mit einem Taschenspielertrick hatte die polnische Regierung versucht, sich um die Verantwortung zu drücken, den Präsidenten Russlands Wladimir Putin offiziell als Staatsgast zu diesem Gedenken einzuladen. Man erklärte, man habe überhaupt keine Staatsmänner eingeladen. Interessanterweise wurden jedoch die anwesenden Staatsoberhäupter bei der Feier selber als Gäste der polnischen Regierung begrüßt. In dem Zusammenhang verstieg sich der polnische Außenminister Grzegorz Schetyna zu der absurden Aussage, die Nichteinladung des russischen Präsidenten begründe sich auch darin, dass die Befreiung Auschwitz das Werk ukrainischer Soldaten gewesen sei, denn Soldaten der 1. Ukrainischen Front hätten die Tore des Lagers geöffnet. Es war eine Peinlichkeit, dass dem polnischen Minister erklärt werden musste, dass sich die Benennung dieser Militäreinheit aus dem Einsatzgebiet ableitete und nichts mit irgendeiner nationalen Zusammensetzung zu tun hatte. Zwar versuchte der Außenminister noch einmal nachzulegen, er verfüge über gesicherte Informationen, dass es ein ukrainischer Soldat gewesen sei, der das Tor geöffnet habe, aber angesichts der umfänglich erforschten und hinreichend dokumentierten Geschichte dieser Militäreinheit erledigte sich dieser Ablenkungsversuch von selbst. Wenige Tage später preschte der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski mit einem weiteren Vorschlag vor, der die historische Perspektive auf das Jahr 1945 verschieben würde. Statt auf Einladung des russischen Präsidenten am 9. Mai in Moskau den „Tag des Sieges“ zu begehen, könnten doch Politiker aus aller Welt am 8. Mai in Danzig, wo der zweite Weltkrieg seinen Ausgang genommen habe, das Kriegsende feiern. Damit unternahm er nicht nur ein weiterer Versuch, die militärische Leistung der sowjetischen Streitkräfte zu diskreditieren, sondern auch den 8. Mai 1945 auf seine frühere ideologische Bedeutung allein als „Kriegsende“ zu reduzieren. Seit 1985 – mit der Rede des damaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker – ist es zumindest in der öffentlichen Diktion unstrittig, dass der 8. Mai mehr ist als der „Tag der Kapitulation“, nämlich der „Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg“. Und es war ebenfalls Weizsäcker, der für die deutsche Perspektive betonte, man könne den 8. Mai 1945 nur in Zusammenhang mit dem 30. Januar 1933, also mit der Errichtung der faschistischen Herrschaft in Deutschland verstehen. Wer – wie der polnische Präsident – diesen Zusammenhang bewusst auseinanderreißt, will nicht, dass der Zusammenhang von Faschismus und Krieg gesehen wird, der will neofaschistische und extrem nationalistische Kräfte in diesem Zusammenhang entlasten. Und in der vergangenen Woche verabschiedete das ukrainische Parlament, die große Rada, eine Reihe von Gesetzen, nach denen die Erinnerung an den „Großen Vaterländischen Krieg“ abgewertet werden soll und die Würdigung der Bandera – Kollaborateure als „Freiheitskämpfer der Ukraine“ zur Staatsdoktrin gemacht wird. Das liegt auf der gleichen Linie wie die Haltung verschiedener baltischer Staaten, in denen die SS-Kollaborateure nicht als Kriegsverbrecher verurteilt, sondern als „Kämpfer für die Freiheit des Landes“ gewürdigt werden. Auch in diesem Jahr konnten in Riga die Veteranen der SS und ihre jungen neonazistischen Freunde aufmarschieren. Wir Antifaschisten müssen gegenüber solchen ideologischen Vorstößen besonders wachsam sein. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) zählt insbesondere auf die Angehörigen der heutigen Generationen, dass sie ihrer Verantwortung für die Bewahrung des historischen Vermächtnis des antifaschistischen Kampfes nachkommen. Die Stimme der überlebenden wird bald verstummen – nun müssen die Nachgeborenen reden und gegen Geschichtsrevision und Neofaschismus aktiv werden. Wir danken Euch schon jetzt für Euer Engagement und hoffen auf Euch!
P1000987
Der FIR-Generalsekretär (vierter von links) bei seiner Ansprache, flankiert von Mitgliedern der PTB und der KP sowie der Kommunistischen Jugend Belgiens