Querfront für den Frieden?

geschrieben von Richard Gebhardt

25. Mai 2024

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Der Journalist Matthias Holland-Letz berichtete im Aachener Welthaus über das Phänomen Daniele Ganser

Das Aachener Welthaus war gut besucht, als der Kölner Journalist Matthias Holland-Letz unter dem Titel „‚Friedensforscher‘ Daniele Ganser: Ein Medienstar und seine fragwürdigen Methoden“ über den jüngst wieder in Aachen gastierenden Star der sog. „neuen Friedensbewegung“ referierte. Ganser hat auch in der westlichsten Stadt der Bundesrepublik ein großes Publikum, wiederholt referierte er in einem ausverkauften Aachener Eurogress. Auf dessen Stufen verliehen die kaiserstädtischen Freunde der alternativen Wahrheiten dem Friedensforscher aus der vielsprachigen Alpenrepublik unlängst einen „Aachener Auszeichnung für die Menschlichkeit“ getauften „Gegen-Karlspreis“.

Die gezeigten Screenshots sind Teil der Präsentation des Referenten

Gansers Anhänger dominierten auch die gestrige Veranstaltung im Welthaus, die den Auftakt einer kritischen Veranstaltungsreihe zu den Themen „Extremismus und Verschwörungen“ bilden sollte. Im Aachener Welthaus hängt der Haussegen schief, vor allem weil die Online-Zeitung Kritische Zeitung Aachen (Kraz) dort ansässig ist. Die Redaktion der Kraz wähnt sich selbstbewusst in der Lage, auch in Aachen den Konspirationen des tiefen Staates auf den Grund zu gehen und nebenbei allerlei ideologische Agenten zu „entlarven“. Die vom Welthaus geladenen Referenten gelten der Kraz denn auch bloß als „staatlich finanzierte Akteure“. Wer aus dem Kraz-Umfeld deshalb aber am Vortragsabend eine staatstragende Abrechnung mit dem von seinen Anhängern bisweilen kultisch verehrten Publizisten aus der Schweizer Eidgenossenschaft erwartet hatte, wurde schnell überrascht. Holland-Letz, der u.a. für den WDR und die gewerkschaftliche Presse arbeitet, regte einen Dialog zwischen den unterschiedlichen Lagern an und betonte die aus seiner Sicht vorhandenen Leistungen Gansers. Holland-Letz, der Ganser 2018 für das Magazin Journalist interviewt und sich in einem Feature für den SWR im Jahr 2017 auch kritisch mit den in der Ukraine tätigen US-amerikanischen Stiftungen befasst hatte, würdigte zunächst Gansers Recherchen zu den – so der Titel der vielbeachteten Studie – „Nato-Geheimarmeen in Europa“. Gansers Dissertation erschien 2005 auch als Buch und hat seitdem viele Auflagen erlebt. Holland-Letz zeigte auf, welche Lücken in der Medienlandschaft Ganser vor allem in der Berichterstattung über den Krieg Russlands gegen die Ukraine und dessen Vorgeschichte füllt. Holland-Letz verwies differenziert auf die Kritiker der Nato-Osterweiterung und die defizitären Berichte über den „Euro-Maidan“ 2013/14 oder den verheerenden Angriff auf das Haus der Gewerkschaften in Odessa im Mai 2014. Ganser füllt nach Auffassung des Referenten eine Leerstelle der Printmedien sowie weiter Teile des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Deshalb sei, so Holland-Letz unter Beifall aus dem Publikum, mehr Raum für kritische Positionen notwendig, die auch die Nato-Strategie hinterfragen.

Der rund 45minütige Vortrag wurde so zu einem Plädoyer für einen kritischen Friedensjournalismus, der sich nicht auf regierungsoffizielle Darstellungen und Deutungen verlässt, sondern unabhängig ein Gesamtbild analysiert. Dass Ganser dieses Ideal aber nicht erfüllt, machte Holland-Letz quellensicher deutlich. Belegt wurde nicht nur der unsaubere Umgang mit fragwürdigen Belegen aus dem geschichtsrevisionistischen Lager der extremen Rechten, sondern auch die einseitige Fixierung auf die Interessen der Weltmacht USA, dem zentralen Feindbild Gansers. Dessen vorgebliche Kritik der russischen Kriegsführung gerät demgegenüber arg knapp. Ganser, der charismatische Apologet einer von ihm ersonnenen „Menschheitsfamilie“, bietet der Öffentlichkeit nicht zuletzt verschwörungsideologisches Geraune, das mit Vokabeln wie „Achtsamkeit“ esoterisch angereichert wird. Holland-Letz erkennt hier ein Muster: Weil der Nato aufgrund ihrer Geheimarmeen (Stichwort Gladio) eine auf Destabilisierung ausgerichtete Strategie und geheime Agenda nachgewiesen werden konnte, würde Ganser diese Interessenlage stets auch auf andere weltpolitische Konflikte übertragen. Dieses schematische Weltbild sichert Ganser, so wurde im Vortrag anhand von ausgewählten Beispielen deutlich, auch mit trüben Quellen aus dem Lager der extremen Rechten oder aus dem Arsenal des politischen Obskurantismus.

An Gansers politischer Haltung ließ Holland-Letz bei aller Differenzierung keinen Zweifel: Seine Feindstellung gegen die USA läuft auf eine „Querfront“ zwischen Linken und Rechten hinaus, die im Vortrag klar als Gefahr für die Demokratie bewertet wurde. Zitat Ganser aus dem Buch „Imperium USA“ (erschienen 2023): „Wer das Thema Spaltung ernst nimmt, erkennt es überall. In Deutschland streiten Die Linke und die AfD gegeneinander, anstatt sich gemeinsam für den Abzug der US-Soldaten aus Deutschland zu engagieren.“ Holland-Letz bewertete derlei Überlegungen als faktische Befürwortung einer Querfront – was bei weiten Teilen des mehrheitlich Ganser-affinen Publikums zu lebhaftem Widerspruch führte. Anhand dieser Dispute zeigte die Veranstaltung auch, welche Form von Dialog zwischen Kritikern und Fans von Ganser überhaupt möglich ist. Zwar trat Holland-Letz ebenso fachkundig wie sachlich vor das Publikum, wurde aber dennoch mehrfach von unbeherrscht vorgetragenen Zwischenfragen unterbrochen. Der Referent ließ sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen – und tatsächlich maßregelten auch in der Diskussion einige an einer echten argumentativen Kontroverse interessierte Redner jenen emotionalen Teil des Publikums, der durch Gelächter, Getuschel oder Zwischenrufe auf sich aufmerksam machte. Zu tief sitzt in diesen Kreisen wohl der Wunsch, den Apostel der „Menschheitsfamilie“ selbst vor quellengesättigter Kritik in Schutz zu nehmen. Vielfach auf Unverständnis stieß auch das von Holland-Letz plausibel begründete negative Urteil über die „alternativen Medien“, in denen handwerkliche Recherchekünste vielfach fehlen und ideologische Absichten dominieren würden. Holland-Letz, der über diese Medien ausführlich berichtet hat, wies aus Erfahrung auf deren ausgesprochene Dünnhäutigkeit hin, wenn deren Macher selbst ins Visier der Kritik geraten. Immer wieder widersprach der Referent den allzu allgemeinen Vorwürfen gegen „die“ Mainstream-Medien. Allerdings kritisierte auch er das aus seiner Sicht „herrschende Narrativ“, dem weite Teile der Parteien und Presse etwa im Krieg Russlands gegen die Ukraine anhingen. So scheiterte während der Debatte der durchsichtige Versuch, Holland-Letz als Kronzeugen für Ganser aufzurufen. Der Journalist plädiert zwar für eine offene Debatte mit dem Publizisten aus der angeblich neutralen Schweiz – er fordert aber eine dezidierte Kritik, die von seiner Anhängerschaft kaum erwünscht ist. Als Holland-Letz bestritt, dass der in einem führenden Schweizer Verlag publizierende und von einem großen Ticketservice unterstützte Weltanschauungsunternehmer Ganser ein Opfer der Medien sei, war die Aufregung groß. Wir sehr sich Gansers Verteidiger bereits selbst in der Opferrolle eingerichtet haben, zeigte ein Diskutant aus den hinteren Plätzen, der sich mehrfach darüber beklagte, dass er – trotz der Wortmeldung Nummer 6 – immer noch nicht an der Reihe sei. Seinem schließlich formulierten Beitrag fehlte dann die Prägnanz, mit der er immerhin seine Beschwerde vortragen konnte.

Bis auf derlei erwartbare Ausnahmen aus dem Feld der einschlägigen Aktivisten, gelang dem Publikum dennoch eine lebhafte Diskussion, die aber im Kern nicht auf Verständigung abzielte, sondern die nicht nur in Aachen relevanten Differenzen zwischen „alter“ und „neuer“ Friedensbewegung deutlich machte. Und auch in Aachen gibt es, so wurde nicht erst an dem Abend deutlich, einen rechten Flügel der Friedenstaube. Das vielfach aus, Pardon, in Ehren ergrauten Opas und Omas für den Frieden bestehende Publikum, verdeutlichte auch ansonsten die politischen Befindlichkeiten von Gansers Anhängern. Eine Rednerin, die einst in führender Position bei den Linken und in der Friedensbewegung wirkte, sinnierte ernsthaft darüber, ob und warum die AfD wirklich eine Gefahr sei. Ein anderer Diskutant bewertete den Vorwurf der „Rechtsoffenheit“ sogar als Kompliment. Mit diesen teilweise skurrilen Redebeiträgen wurde denn der zuvor rhetorisch energisch bestrittene Vorwurf der real vorhandenen „Querfront“-Ideologie im Milieu von Ganser & Co. eindrucksvoll belegt. Schon historisch, das sei dem Bericht hinzugefügt, konnte sich die faschistische Synthese nur durch die Aufhebung des antagonistischen Widerspruchs zwischen links und rechts herausbilden. Dass nun zum Verschwörungsglauben konvertierte Ex-Linke diese historische Lektion vergessen (oder zuvor gar nicht erst verstanden haben), wurde auch in Aachen deutlich. Antifaschisten können, das zeigte die Diskussion, an dieses Milieu keine Konzessionen machen. Dass die Antifa an dem Abend weitgehend durch Abwesenheit glänzte, ist auch ein Zeichen für die fehlende Mobilisierungsfähigkeit dieses heterogenen Spektrums. Und ein Zeichen für ein fatales Desinteresse an öffentlichen Auseinandersetzungen, die nicht im eigenen überschaubaren Lager stattfinden.

Lea Heuser, die Geschäftsführerin des Welthauses und Initiatorin der Veranstaltungsreihe zur Querfront-Ideologie, plädierte in ihrem abschließenden Beitrag für wissenschaftliche Standards und eine Kritik, die sich nicht als Konspirationskunde geriert. Und Detlef Peikert (VVN-BdA Aachen), der die Veranstaltung souverän leitete, dankte dem Publikum für die kontroverse Debatte, in der aber vor allem die Bruchlinien zwischen den Fraktionen der Aachener (Ex-)Linken klar wurden. Welche Grenzen der Dialog zwischen den Lagern weiterhin hat, wurde denn auch bei Peikerts Schlusswort deutlich. Aufgrund der mitunter verharmlosenden bis apologetischen Darstellung der AfD, bestritt er deren Rolle als selbsternannte „Friedenspartei“. Das Milieu, das ansonsten gerne von Dialog und Kritikfähigkeit schwärmt, bedankte sich auf seine Art – und verließ während des antifaschistischen Schlussstatements unter mitunter wütenden Zwischenrufen den Saal. Statt Dialog wird in diesen Kreisen auch in Zukunft wohl das gruppendynamische Selbstgespräch bevorzugt.