Nein zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)
13. Juni 2023
Zu den Gründer:innen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gehörten viele der Menschen, die nur überleben konnten, weil sie in anderen Ländern Zuflucht fanden und viele, deren Angehörige, Freund:innen und Genoss:innen ermordet wurden, weil es kein Land gab, das ihnen Schutz gewährte.
Vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrung wurde auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ein Grundrecht auf Asyl verankert.
Am 26. Mai 1993 wurde das Grundrecht auf Asyl durch den „Asylkompromiss“ einer ganz großen Koalition im Bundestag faktisch abgeschafft: Der Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ wurde aus Artikel 16 gestrichen; im neu eingefügten Artikel 16 a wurden sichere Herkunfts- und Drittstaaten eingeführt, Abschiebungen vor Ausschöpfung des Rechtswegs möglich und die „Europäisierung“ der Asylverfahren eingeleitet. Das war die Antwort der deutschen Politik auf das Pogrom von Rostock, die die mörderische Naziszene durchaus als ihren Erfolg verbuchen konnte. Nur drei Tage später brannte das Haus der Familie Genc in Solingen, bei dem fünf Frauen und Mädchen der Familie starben.
Es war der Anfang einer Politik der Abschottung Europas gegenüber den Menschen, die vor Kriegen, Willkür und Verfolgung, vor menschenunwürdigen Lebensbedingungen und zunehmend vor den Folgen des Klimawandels fliehen. Zehntausende sind seitdem im Mittelmeer ertrunken oder in der Sahara verdurstet, zehntausende wurden und werden in libyschen Lagern ausgeplündert, gefoltert, versklavt und ermordet. Milliarden von Euro fließen in die europäische Grenzschutz-Agentur FRONTEX, in die „Ertüchtigung“ von Militär und Grenzschutztruppen in Nordafrika und den Sahelstaaten, an die Banditen der libyschen Küstenwache, an Erdogan und Tyrannen. Seenotrettung – eine internationale Verpflichtung aller Seeleute – wird kriminalisiert. Wer es dennoch schafft, in Deutschland anzukommen, ist nach einem langen und gefährlichen Weg in der Regel demütigenden Bedingungen und oft demütigender Behandlung ausgesetzt.
Genau 30 Jahre nach dem „Asylkompromiss“ steht nun mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) der nächste große Schritt durch die bereits von der Bundesregierung – entgegen den Bestimmungen ihres Koalitionsvertrags – beschlossene Zustimmung zu Asyl- und Abschiebeverfahren an den europäischen Außengrenzen bevor. Dazu gehört die Fiktion einer Nicht-Einreise mit haftähnlicher Unterbringung der Ankommenden, die so von jeder Möglichkeit der rechtlichen Beratung und Vertretung abgeschnitten werden.
Seit gut vier Wochen ist das bekannt, erst langsam beginnt sich Protest zu formieren – und es eilt: schon beim nächsten Treffen der EU-Innenminister am 8. und 9. Juni sollen entscheidende Weichen gestellt werden. Mitte Mai haben 50 Organisationen – Sozialverbände, kirchliche Institutionen, Juristenvereinigungen, Flüchtlingsräte – einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, „Keine Kompromisse auf Kosten des Flüchtlingsschutzes“ zu schließen. Darin heißt es:
Im Vorfeld des kommenden Treffens der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 appellieren wir an die Bundesregierung, ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden und ihren eigenen Koalitionsvertrag ernst zu nehmen:
- Für menschenwürdige und faire Asylverfahren: Keine verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen!
- Für Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union: Keine Absenkung der Anforderungen an “sichere Drittstaaten”!
- Für echte Solidarität in der Flüchtlingsaufnahme: Keine Weiterführung des gescheiterten Dublin-Systems!
Wir teilen diese Forderungen und werden uns weiter dafür einsetzen, dass Menschenrechte an den europäischen Außengrenzen endlich wieder respektiert werden.