Das Schicksal der Stolberger Roma

geschrieben von Karen Lange-Rehberg

8. November 2010

Das Jahr 1938 markiert die entscheidenden Schritte der Nazis im Hinblick auf die Verfolgung der jüdischen Bürger, aber diese verlief auch parallel zur Bekämpfung von Sinti und Roma.In den Nürnberger Rassegesetzen von Januar 1936 waren beide – sowohl Juden als auch Sinti und Roma – zu artfremden Rassen in Europa deklariert worden.

Am 8. Dezember 1938 schließlich, also einen Monat nach der Reichspogromnacht, wurde Himmlers Erlass zur „grundsätzlichen Regelung der Zigeunerfrage“ verkündet, und dieser wurde die Basis für die Deportation und Bedingung des Völkermordes.

Soweit bisher bekannt, gab es in Aachen keine Ansiedlungen von Sinti oder Roma. Sie tauchten hier aber als Schausteller mit Zirkusdarbietungen auf und zogen dann weiter mit Wagen, Akrobaten, Affen, Pferdchen und Bären. Sie waren immer Außenseiter, gemieden aus Gewohnheit, teilweise gefürchtet. In Stolberg gab es eine größere Ansiedlung der Roma, in Eschweiler von Sinti.

Vom Schicksal der 37 Stolberger Roma möchte ich kurz berichten. Auch sie zogen zunächst als Schausteller umher, kehrten im Winter nach Stolberg in die Eschweiler Straße zurück, wo sie seit 1935 in 2 eigenen Häusern und einigen Wohnwagen lebten, sie arbeiteten als Fuhrleute oder ArbeiterInnen in der Industrie, züchteten für den Hausgebrauch Gemüse, Kaninchen und Hühner. Kontakte zu anderen Stolbergern gab es fast gar nicht, dafür aber seit 1938 immer häufiger Kontrollen, Drohungen, kurzfristige Verhaftungen durch die Polizei, 1940 schließlich genaue erkennungsdienstliche Erfassung von Männern, Frauen, ja, von Kindern. Himmlers Auschwitz-Erlass vom 16.12.1943 bedeutete für diese ständig bedrohten Leben das Ende ihrer Existenz: innerhalb weniger Wochen sollten alle „Zigeuner“ in ein Konzentrationslager eingewiesen werden, und dies bedeutete Ermordung in Auschwitz.

Das ganze Ausmaß des Grauens von Auschwitz ist nicht vorstellbar: 1.082.000 Deportierte sind dort getötet worden, die meisten davon Juden, aber auch ca. 21.000 Roma und Sinti.

Am 2.03.1943 wurden die 37 Stolberger Roma, meistens Kinder und 2 zu Besuch bei den Familien weilende Männer, verhaftet und deportiert. Dieser Zigeunersammeltransport traf am 7.03. in Auschwitz ein, darin zusammengepfercht insgesamt 510 Frauen und Mädchen und 387 Männer und Jungen, alle völlig unvorbereitet auf diese Reise, ohne ausreichend Nahrung und passende Kleidung, die vielen Kinder und Babys sicher hungernd und weinend.

Als die Familien endlich erschöpft ankamen, war das Zigeunerlager noch im Aufbau, und die, die sich jetzt als Häftlinge betrachten mussten, wurden in Baracken eingewiesen, die als Pferdeställe geplant waren. Als erstes wurde das Lager B IIe belegt und bildete von da an das Zigeuner-Familienlager. Bis Ende 1943 hielten die Nazis hier 18.736 Männer, Frauen und Kinder gefangen.

In den Baracken durften die Romafamilien zwar zusammen leben und zwar nicht in Häftlingskleidung, jedoch litten sie – vor allem die Kinder – durch stundenlange Appelle, Hunger, Krankheit, Überarbeitung und Folter. Darüber hinaus wurden an den Häftlingen nicht nur Versuche durchgeführt, sondern viele wurden getötet, um ihren Leichen innere Organe zu entnehmen und daran Studien vorzunehmen.

Jedenfalls lebten von den 14 eingelieferten erwachsenen Stolberger Roma 1944 nur noch 4, die dann aber auch im Laufe des Jahres starben.

Welches Schicksal erlitten die 23 Kinder zwischen 2 und 16 Jahren ?

Bei drei Kindern gibt es im Sterberegister kein Todesdatum: womöglich wurden sie nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet. 9 Kinder starben schon im Jahre der Einlieferung, aber immerhin: fast die Hälfte überlebte bis 1944. Auch wurde am 11.4.1943 noch Georg Lassisch geboren, der aber in keinem Sterberegister erwähnt wird. Wie erging es ihm und den anderen insgesamt 377 im Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau geborenen Babies?

Für eine kurze Zeit genossen viele Zigeunerkinder gewisse Privilegien: sie blieben bei den noch verbliebenen Familienangehörigen, sie bekamen etwas besseres Essen, ja, der leitende Lagerarzt Dr. Mengele ließ sogar für sie einen so genannten Kindergarten in B IIe einrichten, der auch so etwas wie eine Vorschule war. Auch gab es einen Spielplatz mit Sandkasten, Karussell und Schaukeln. Aber dieser privilegierte Status dauerte nur so lange, wie die Kinder Dr. Mengele von Nutzen waren. Er stellte Experimente mit den Kindern an, die schließlich beendet wurden mit einer tödlichen Phenolinjektion, sodass er seine Experimente mit einer Autopsie beenden konnte.

Nicht „benötigte“ Babys wurden manchmal ertränkt oder dem Hungertod preisgegeben.

Kinder starben jedoch in zunehmendem Maße auch an Epidemien wie Typhus oder Krätze. Gegen diese Krankheit mussten die „Patienten“ ein Säurebad über sich ergehen lassen, und wenn sie es überlebten, so starben sie an Lungen- oder Rippenfellentzündungen.

Es gibt eine Reihe von Stolberger Kindern, die zwischen Mai und August 1944 umgekommen sind wie z.B. Petra Lassisch (9J.), Toni Lassisch (4J.), Peter Lassisch (11J.), Berta Lassisch (9J.), Georg Markowitsch (3J.), Stana Todorowitsch (7J.) oder Michael Wassilkowitsch (7J.). Sie sind möglicherweise Opfer des Dr. Mengele gewesen, an Epidemien gestorben oder ihr Leben endete in den Gaskammern, denn gerade in die genannte Zeit fiel die allmähliche und endgültige Schließung des Zigeunerlagers.