Wort zur Demo Nörvenich 2023 – Die Forderung der Evangelischen Kirche im Rheinland

geschrieben von Superintendent Pfarrer Jens Sannig

17. Oktober 2023

Demonstration zum Kriegsflughafen Nörvenich. Foto: FriedensgruppeDüren

Am 17. Oktober 2023 hat das Atomkriegsmanöver »Steadfast Noon« begonnen. Die Nato startet jährliches Manöver zur »nuklearen Teilhabe« in Europa, die Deutsche Luftwaffe macht mit. Auf einer Kundgebung in Nörvenich – dort sind Bundeswehrbomber zum Transport und Abwurf von Atomwaffen stationiert – hat die Aachener VVN-BdA mit weiteren Gruppen der Friedensbewegung einen Verzicht auf dieses Manöver gefordert. Vergeblich.

An dieser Stelle dokumentieren wir die Rede von Superintendent Pfarrer Jens Sannig aus Jülich. Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion.

Wo bleibt Widerstand?

Warum regt sich in Deutschland, einem Land mit dieser Vergangenheit, kaum Widerstand gegen den Mainstream, dass der Krieg nun doch die einzige Möglichkeit sei, unsere Freiheit zu verteidigen?

Wie konnte es dazu kommen, dass ein Bundeskanzler zu Menschen, die mit dem Zeichen der Friedenstaube für friedliche Konfliktlösungen demonstrieren, zuruft: „Und die, die hier mit Friedenstauben herumlaufen, sind deshalb vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle kommen, weil sie letztendlich einem Kriegstreiber das Wort reden.“

Wie kann es sein, dass in einem Land mit einer „nach Blut und Gas stinkenden Geschichte“, wie es die Initiatorin der politischen Nachgebete, die bekannte Pfarrerin Dorothee Sölle es einmal formuliert hat, keine differenzierte Diskussion mehr möglich ist, in der auch über nicht-militärische Wege nachgedacht werden darf, um Konflikte einzufrieden.

Superintendent Pfarrer Jens Sannig

Es erschreckt mich, welche Parallelitäten es in den Äußerungen unserer Politiker und der Berichterstattung der Medien gibt zwischen der Vorkriegszeit des ersten Weltkrieges und unserer Zeit.

Krieg ist für uns Christinnen und Christen immer ein Ausdruck dafür, dass wir Menschen uns mit unserem Handeln von Gott entfernt haben. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ (ÖRK Vollversammlung Amsterdam 1948) – und dennoch ist er bittere Realität. Wir leben von der Hoffnung darauf, dass Gott eines Tages alle Kriege beenden wird.

Krieg statt „Nie wieder Krieg“

Der Krieg als Realität aber scheint heute die Parole „Nie wieder Krieg“ ersetzt zu haben. Das Friedensgebot des Grundgesetzes scheint außer Kraft gesetzt, die Militarisierung der Gesellschaft schreitet voran, Waffenlieferungen werden als Nächstenliebe deklariert, die Kinderseite der Aachener Zeitung belehrt unsere Jüngsten über das NATO-Manöver „Air defender“.

Wenn wirklich Frieden und Menschenrechte im Vordergrund unseres Handelns stünden, dann werden mehr Waffen und eine neue Phase der Hochrüstung die Welt nicht sicherer machen. Im Gegenteil. Diese Investitionen gehen zu Lasten von Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung und wird Konflikte weltweit anheizen und das Klima sowieso.

Und die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung steigt von Mal zu Mal.

Im Januar hat die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland, als höchstes beschlussfassendes Gremium auch angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine und trotz Anerkennung des Selbstverteidigungsrechtes der Ukraine in einem Wort zum Ukrainekrieg formuliert:

»Gemeinsam halten wir angesichts des Krieges in der Ukraine an der Überzeugung fest, die das Friedenswort der Evangelischen Kirche im Rheinland 2018 formuliert hat. Als Kirche auf dem Weg des gerechten Friedens sind wir überzeugt, dass gewaltfreie Konfliktlösungen immer die Priorität vor militärischen Lösungen haben müssen. Frieden wird letztlich durch Verhandlungen erzielt werden, die dem Völkerrecht wieder Geltung verschaffen.«

Das Friedenswort der Evangelischen Kirche im Rheinland

Das Friedenswort der Evangelischen Kirche im Rheinland zuvor formulierte:

»Mit dem Leitbild des gerechten Friedens verbindet sich der Auftrag, Krieg und Gewalt zu überwinden und den Weg zum Ausgleich und zur Versöhnung bewusst einzuüben.«

50 Jahre nach dem Überfall auf die damalige Sowjetunion, an dessen Ende die Völker Russlands über 25 Millionen Tote zu beklagen hatten, war eine Delegation der Evangelischen Kirche im Rheinland unter der Leitung von Präses Peter Beier, 1991 nach Pskow gereist – in eine Stadt, die durch die deutschen Soldaten gleichsam ausradiert worden war. Der rheinische Präses bat damals um Vergebung für die Schuld seiner Landsleute.

Mit dem Heilpädagogischen Zentrum, für Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten, in der Stadt Pskow, das mit dem Besuch 1991 gegründet wurde, erfahren Menschen in Russland durch diese Versöhnungsarbeit ein anderes Bild von Deutschland, das bis dahin von den schrecklichen und traumatischen Kriegserlebnissen der Bevölkerung in Russland geprägt war.

Ist Versöhnungsarbeit naiv?

Ist solche Versöhnungsarbeit mit Russland, ist die Versöhnungsarbeit zwischen Palästina und Israel »naiv« gewesen, angesichts der brutalen kriegerischen Auseinandersetzungen dieser Tage?

Wird die Versöhnung als einzigem Weg zu einer friedlichen Koexistenz der Menschen jetzt mit dem Krieg in der Ukraine und dem jüngsten Krieg zwischen Israel und den Palästinensern ad absurdum geführt?

Ich meine nein! Frieden und Versöhnung, Deeskalation und Verständigung, sind der wichtigste Baustein für ein sicheres Europa und eine gerechte Welt. Auch wenn die Welt in der Rechtfertigung von Waffenlieferungen gefangen scheint.

Schmerzpunkte nannte das Friedenswort der Evangelischen Kirche im Rheinland seine (An)Klagen, die die Herausforderungen klar benannten:

  1. Die Rüstungsexporte, die gerade auch von rheinischem Boden ausgehen.
    Die Forderung: das Grundsätzliche Verbot von Rüstungsgütern.
  2. Die Atomwaffen, die nach wie vor auf rheinischen Boden lagern.
    Die Forderung: Abzug statt Modernisierung und Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages durch die Bundesrepublik
  3. Die zunehmende Militarisierung, die Beobachtung, dass kriegerische Gewalt wieder als Mittel der Politik gedacht werden und die neue Rolle der Bundeswehr, verbunden mit dem 2 Prozent Ziel in den Militärausgaben und der Wandel des Auftrages der Bundewehr von einer Verteidigungs- zur Interventionsarmee.
    Die Forderung: Eine Revision der Sicherheitspolitik, wie sie noch im Weißbuch von 2016 zum freien sowie ungehinderten Welthandel zugespitzt wurde – hin zu den Leitlinien des Auswärtigen Amtes „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern.“

Kirchenkreis Jülich der Initiative »Sicherheit neu denken« beigetreten

Als Kirchenkreis Jülich sind wir der Initiative »Sicherheit neu denken« beigetreten. Als Landeskirche konnten wir uns dazu leider noch nicht entscheiden.

Die 16 Impulse für zivile Lösungswege, als eine entschlossene und zugleich besonnene Reaktion auf Putins Krieg, die die Initiative »Sicherheit neu denken – gerade jetzt!« formuliert hat, sind für uns deutlich konstruktiver und zielführender, die ständige Lieferung militärischen Waffen und der Ruf nach immer schwereren Waffen.

  • Neben Signalen der Entschlossenheit sollten danach auch Zeichen zur Deeskalation gesendet werden, um die Eskalationsdynamik zu unterbrechen.
  • Frieden und Verständigung benötigen Perspektivwechsel: Die Perspektive der Anderen einzunehmen, heißt nicht, diese zu teilen. Es bedeutet aber, die Beweggründe nachzuvollziehen.
  • Die Tragfähigkeit der demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Werte erweist sich auch daran, inwieweit sie den friedlichen und konstruktiven Austrag von sicherheitspolitischen Konflikten mit dem normativ Anderen zulässt und auf ideologische Konfrontation verzichtet.

Haben wir als Bundesrepublik Deutschland die gleiche Entschlossenheit, wie bei der Erhöhung der Militärausgaben, um kurzfristig jährlich 10 % der geplanten Militärausgaben für einen Auf- und Ausbauplan Zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention bereitzustellen, die die internationalen Friedensorganisationen stärkt und eine Vorbildfunktion für andere Staaten hätte?

Haben stetig steigenden Lieferungen immer stärkerer Waffen jemals zur Deeskalation und zur Beendigung eines Krieges beigetragen?

Ich meine Nein. Im Gegenteil.

Wir stehen ja nicht umsonst jedes Jahr in Büchel oder hier in Nörvenich.

Statt Aufrüstung zum Krieg Zurüstung zum Frieden.

Im Sommer 2022 warnte UN-Generalsekretär Guterres in der Sitzung zur Überprüfung des von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien am 1. Juli 1968 unterzeichneten Atomwaffensperrvertrages: „Die Menschheit ist nur ein Missverständnis, nur eine Fehlkalkulation von ihrer nuklearen Auslöschung entfernt.“

Ein missverständliches Wort der Politik gegenüber der anderen Seite, eine Fehlkalkulation, eine Fehleinschätzung nur bei den Waffenlieferungen und die Provokation könnte so groß sein, dass die Kettenreaktion eines Einsatzes atomarer Waffen ausgelöst werden könnte.

Das alles Entscheidende jetzt ist: Den Krieg mit seinen Wurzeln bekämpfen, das Überleben möglich machen.

Faschismus, Militarismus, Nationalismus, autoritäres Machtstreben, Menschenrechtsverletzungen, Schädigungen der Lebensgrundlagen der Menschheit, eine unsoziale Politik, die die Gesellschaft spaltet, all das ist zu überwinden durch das gemeinsame Engagement Aller, einschließlich der Weltreligionen, für eine Gesellschaft des Gleichgewichts auf dem zerbrechlichen Planeten Erde.

Das gemeinsame Engagement gegen die nukleare Bedrohung ist ein Schritt in diese Richtung.

Denn darin sollten sich alle einig sein: Eine weitere Eskalation der Kriege durch den Einsatz atomarer Waffen bedeutet das Ende der Menschheit.

Mehr als jede Aufrüstung zum Krieg brauchen wir jetzt eine Zurüstung zum Frieden.

Die Ächtung atomarer Waffen, der Abzug der Atomwaffen aus Deutschland statt ihrer Modernisierung und die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotvertrages durch die Bundesrepublik Deutschland sind klare Beschlüsse der Evangelischen Kirche im Rheinland.