Zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941
17. Juni 2011
Wir haben am 4. Juni auf dieser Seite Thesen „Zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941“ veröffentlicht und zur Diskussion eingeladen. An dieser Stelle dokumentieren wir laufend die eingehenden Wortmeldungen.
Zunächst mal begrüße ich eure Veranstaltungen zu diesem wichtigen Thema und das Erinnern an dieses Datum. Ich erinnere auch selbst in Schriften und Gesprächen oft an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion.
Voll unterstreichen möchte ich als Pazifist auch euren bemerkenswerten Absatz „Der Krieg gebiert Ungeheuer“.
Was mich aber stört, sind die Gleichsetzungen in eurem Text. Es erscheint mir widersinnig und auch intellektuell unredlich, die in der Totalitarismus- oder Extremismustheorie steckende Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus zu verurteilen und im gleichen Atemzug militärische Aktivitäten der NATO in Libyen, gegen Piraten oder gegen Bin Ladens Mördertruppe mit dem faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gleichzusetzen. Die hinter dieser Gleichsetzung steckende Imperialismustheorie ist m. E. intellektuell ähnlich schwachbrüstig wie die Totalitarismustheorie (um nun meinerseits eine Art Gleichsetzung vorzunehmen…).
Die Totalitarismutheorie ist vor allem deshalb viel zu kurz gedacht, weil der Kommunismus als reale Befreiungsbewegung einer real unterdrückten Bevölkerungsgruppe entstanden ist, der Faschismus dagegen als konterrevolutionäre Rachefantasie enttäuschter Soldaten und Nationalisten des Ersten Weltkriegs. Eure Imperialismustheorie ist in ganz ähnlicher Weise zu kurz gedacht, weil die Idee der bürgerlichen Menschenrechte, mit denen heute UNO und NATO zum Beispiel ihre Militärintervention in Libyen begründen, ähnlich wie der Kommunismus als reale Befreiungsbewegung einer real unterdrückten Bevölkerungsgruppe entstanden ist, in diesem Falle des Bürgertums, und weil in Afghanistan oder Libyen tatsächlich Bevölkerungsgruppen unter massivem Bruch jener Menschenrechte unterdrückt werden. Eine Gleichsetzung militärischer Versuche, Menschenrechte zu wahren – so fragwürdig sie auch sein mögen – mit faschistischen Terrorregimen und dem faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion verbietet sich also.
Ihr sprecht selbst vom Völkerrecht. Während der Kosovo-Krieg der NATO in der Tat völkerrechtswidrig war (und deshalb von mir seinerzeit scharf kritisiert wurde), ist das bei dem Krieg in Libyen wegen des UNO-Mandats nicht der Fall. Es gibt gute Gründe, den Krieg in Libyen abzulehnen, aber nicht alles, was Antifaschisten ablehnen, ist faschistisch. Auf jeden Fall verbietet das UNO-Mandat wiederum jede Gleichsetzung mit faschistischen Überfällen auf fremde Völker, die das Ziel hatten, diese Völker zu versklaven oder zu vernichten. Obama und Sarkozy mögen dumm und verblendet sein, es dürfte euch aber schwer fallen zu argumentieren, dass sie irgendwelche Libyer versklaven wollten. Und wenn ihr jetzt mit dem Öl kommt, dann ist die zweite Gleichsetzung auf meiner Seite fällig: Ich erkenne keinen für die Libyer wesentlichen Unterschied zwischen der Ausbeutung libyscher Ölvorkommen durch den Gaddafi-Clan und ihrer potentiellen Ausbeutung durch Exxon.
Nichts hat bei mir so viel Empörung und Wut hervorgerufen wie die Kriege des „Westens“ seit der Zeitenwende 1989. Diese Kriege markieren auch meine Niederlage, das Versagen meiner Generation gegenüber dem Versprechen „Nie wieder Krieg“. Gerade, weil die persönlichen Erfahrungen und Niederlagen das eigene Handeln am stärksten prägen können, ist es wichtig, sich in den politischen Aktionen des historischen Kontextes bewußt zu bleiben. Deshalb ist Jens Hinweis, eine Gleichsetzung z.B. „militärische(r) Aktivitäten der NATO in Libyen … mit dem faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion“ sei „intellektuell unredlich“, ganz wichtig und wertvoll. Eine Gleichsetzung verbietet sich sowohl hinsichtlich der Kriegsführung als auch der Kriegsziele. Aber: Aus der Geschichte lernen heißt z.B. auch, in Erinnerung an den Überfall auf die Sowjetunion „Nie wieder Krieg“ zu rufen und ganz entschieden jedem Krieg entgegenzutreten. Den Opfern von Nato-Bombenangriffen hilft es nicht, wenn die Bomben auf Befehl einer „demokratisch legitimierten Regierung“ abgeworfen wurden.
Jens implizit vorgetragene Forderung an Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der französischen Revolution siegreichen bürgerlichen Grundrechte mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, möchte ich vorbehaltlos zustimmen. Aber: Ohne an dieser Stelle auf den Zynismus einzugehen, mit Bomben Menschenrechte verteidigen zu wollen, erinnere ich daran, dass in allen Dokumenten der Bundeswehr, aber auch der militarisierten EU und der NATO als Kriegsgrund substantiell nur die Sicherung materieller Interessen (Rohstoffe, Handelswege, Vermeidung von Flüchtlingen) anerkannt ist. Die Verteidigung von Menschenrechten – die Situation z.B. von Frauen und Mädchen in Afghanistan hat sich in großen Bereichen mit Kriegsbeginn verschlechtert – ist stets nur eine demagogische, propagandistische Kriegsbegründung gewesen. Auf die Spitze getrieben hatte dies Herr Fischer, als er im Jugoslowienkrieg den Antifaschismus zu usurpieren versuchte und mit Kriegslügen und der Parole „Nie wieder Auschwitz“ seinen Krieg begründete. Eine Entdeckung der Menschenrechte durch die NATO in Libyen ist nicht nachweisbar.
Jens irrt, wenn er meint, der Krieg gegen Libyen sei durch das Völkerrecht gedeckt. Über das Einhalten der UN-Resolution 1973, die vorgibt, den NATO-Einsatz zu decken, kann man streiten. Relevant aber ist, dass die Resolution selber im Widerspruch zur UN-Charta und dem Völkerrecht steht. Das Gewaltregime der UN-Charta zieht in Kapitel VII enge Grenzen für einen legitimen Militäreinsatz. Unbedingt ausgeschlossen sind – militärische – Einmischungen in innerstaatliche Auseinandersetzungen. Es gab unter dem Stichwort „responsibility to protect (R2P)“ Versuche, diese Beschränkungen aufzuheben, bei den Versuchen ist es geblieben. Die überwältigende Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten hat es abgelehnt, die entsprechenden Konzeptionen zu bestätigen. Wir sollten uns nicht von den Apologeten einer UN-Reform, die jeden Zugriff auf bestimmte Staaten legitimieren soll, ins Bockshorn jagen lassen.