Militarisierung des Volkstrauertags
26. Oktober 2010
Zur Geschichte des Volkstrauertags und des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge haben wir vor Jahren eine Broschüre erstellt „Der deutsche Militarismus ist nicht tot – er riecht nur streng“. Es muss hier der Hinweis auf die Verfügbarkeit im Internet genügen: www.nrw.vvn-bda.de/bilder/Militarismus.pdf (einige Exemplare der Broschüre sind noch verfügbar).Heute geht es um die Veränderungen der letzten Jahre. In Aachen gibt es seit Jahren eine Zweiteilung am Volkstrauertag. Einerseits die jährliche Gedenkveranstaltung der VVN-BdA an den Gräbern der KZ Opfer auf dem Waldfriedhof. Andererseits die Gedenkverstaltung von Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge mit dem Stadtrat bzw. der Städteregion Aachen. In den letzten Jahren hat an Bedeutung gewonnen, dass der Volksbund im Anschluss an seine Veranstaltung in der Aula Carolina auf dem Waldfriedhof am Hochkreuz der Soldaten (Inschrift: Hier ruhen deutsche Soldaten 1914-16, 1917-18 und 1939 bis 1945) Kränze niederlegt. Dabei spielt die Bundeswehr eine zunehmend aggressive Rolle.
Nahmen bislang immer schon Soldaten am Zeremoniell der Kranzniederlegung in Uniform teil, so treten sie nun in Formation und unter Trommelwirbel auf, bilden eine Ehrenwache und blasen zum „Ich hatt‘ einen Kameraden“.
Damit kehrt die Bundeswehr den Prozess der Entmilitarisierung der Veranstaltung ab 1990 um. Vor dem Hintergrund des zunehmend auf Widerstand in der Bevölkerung stoßenden Afghanistaneinsatzes tritt sie vermehrt und offensiver in der Öffentlichkeit auf. In den 80er Jahren waren sie noch schwerbewaffnet im Stechschritt auf den Waldfriedhof marschiert. Dabei spielten die alten Kameraden der HIAG (ex-Waffen-SS) eine Rolle. Die HIAG legte zusammen mit dem damaligen Oberbürgermeister Malangré und der Bundeswehr ihren Kranz am Hochkreuz nieder. In langen Auseinandersetzungen zwischen der Friedensbewegung und den Militaristen zogen sich die Militaristen zurück, überließen rot-grünen RednerInnen die Ansprachen im geschlossenen Raum und überwinterten.
Zwischenzeitlich war im Rahmen der Bürgerbewegung „Wege gegen das Vergessen“ eine Tafel vor dem Hochkreuz angebracht worden, deren Text analytischer und realistischer als der Text des Hochkreuzes war: „Deutsches Machtstreben mündete im 20. Jahrhundert zweimal in einen Weltkrieg. Allein der 2. Weltkrieg kostete mehr als 62 Millionen Menschen das Leben. Fast 4000 Aachener starben als Soldaten für Nazideutschland, 2500 Aachener kamen in ihrer Stadt ums Leben“. Seitdem liegt die Platte mit dem Text unbeachtet auf dem Waldfriedhof und die Veranstalter des Volksbundes, der Stadt und der Bundeswehr ignorieren sie nach Kräften. Sie kann allerdings auch leicht übersehen werden, weshalb wir den Text schon mal auf Tafeln schrieben und während der Kranzniederlegung hochhielten, damit er schwerer ignoriert werden kann.
Neben der zunehmenden Militarisierung des Volkstrauertags gibt auch der von der Bundesrepublik zentral vorgegebene Text zum Totengedenken Anlass zur Kritik. Hier die aktuellste Fassung noch aus der Feder von Ex-Bundespräsident Köhler aus dem Jahr 2009:
„Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken der Soldaten,
die in den Weltkriegen starben,
der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten,
einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer,
die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,
um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung,
um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte,
die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken heute auch derer,
die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.
Wir trauern mit den Müttern und mit allen, die Leid tragen um die Toten.
Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt.“
War der Text ursprünglich den deutschen Toten gewidmet, aber schon bald den Kriegstoten aller Länder gewidmet, so wurde der Kreis der Opfer ab Mitte 90er Jahre inflationär erweitert, ohne dass ein Zusammenhang hergestellt wurde, Hauptsache tot.
Welchen Sinn macht es , den millionenfachen Mord an den europäischen Juden mit den Toten der sogenannten Vertreibung in eins zu setzen? Hier wird versucht, Täter und Opfer gleichzusetzen bzw. die Täter hinter einem diffusen Opferbegriff zu verstecken. Ungeachtet der Klarheit der Verbrechen der Wehrmacht nach jahrelangen öffentlichen Auseinandersetzungen werden die Verbrecher der Wehrmacht versteckt hinter tatsächlich Unschuldigen, die es ja auch in der Wehrmacht gab.
Der Volksbund klagt seit Bestehen darüber, dass sie sich um die Gräber der Soldaten kümmern müssen/dürfen/wollen, die „fern der Heimat und in fremder Erde“ bestattet sind. Bis heute ist dem Volksbund und den Verantwortlichen des Volkstrauertag nicht eingefallen, wie die Soldaten auf die fremde Erde kamen, was sie dort wollten und ob sie das schon zu Opfern macht. Nur in der vom Stadtrat der Stadt Aachen einmütig beschlossenen Tafel am Waldfriedhof ist vom „deutschen Machtstreben“ die Rede, weshalb die Existenz der Tafel ja auch so tapfer ignoriert wird.
Die letzte Erweiterung des offiziellen Totengedenkens betrifft die Soldaten, die „im Auslandseinsatz ums Leben kamen“. Hier wandelt sich der Volkstrauertag erneut zum Heldengedenktag. Wiederum wird nicht gefragt, ob es für diese Auslandseinsätze eine Rechtfertigung oder auch „nur“ eine juristische Grundlage gibt. Der Überfall auf Jugoslawien war völkerrechtwidrig, was die Verantwortlichen heute auch gern offen eingestehen. Die Beteiligung am Krieg gegen Afghanistan ist es ebenfalls. Das Mindeste, was man zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr sagen kann, ist, dass er die vorgeblichen Ziele nicht erreichen kann. Die Eindämmung des Terrors durch Krieg kontrastiert mit der Zunahme der angeblichen Bedrohung der kriegführenden Staaten, oder auf den Punkt: je mehr Krieg um so größer wird die Bedrohung.
Die Entwicklung des Volkstrauertages zum Heldengedenktag vollzieht sich schleichend. Im Kern aber wendet sich das Gedenken davon ab, das Sterben als Ergebnis aus teils nebulösen Gründen („in fremder Erde“) darzustellen. Ab jetzt gilt das Sterben für etwas ähnlich Dubioses: Die Freiheit, die am Hindukusch verteidigt wird, das Abendland, usw.
Wie schon bisher gilt, Hauptsache tot: Der Vorsitzende des Volksbundes drückt es so aus:
„Ein Anrecht auf unsere Solidarität haben auch all jene Frauen und Männer, die gegenwärtig in Auslandseinsätzen ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren. Wir sollten diesem gefährlichen Dienst mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung schenken. Dabei spielt es keine Rolle, ob man die politische Entscheidung zu den Einsätzen für richtig oder falsch hält. Zu viele sind bereits ums Leben gekommen. Ihnen und ihren Familien gilt unser Mitgefühl. Unser Gedenken am Volkstrauertag schließt auch diese Menschen mit ein.“ Reinhard Führer Präsident des Volksbundes, aus „Handlungsanleitung des Volksbundes für 2010“
Die Bundeswehr entzieht sich einem demokratischen Diskurs, da wird kommandiert und angeordnet. Ihnen muss aber klar werden, dass sie im öffentlichen Raum auch Kritik ertragen müssen und wer sich jetzt als Opfer von Auslandseinsätzen darstellt, muss sich öffentlich hinterfragen lassen.
Die Stadt Aachen, die Städteregion und der Volksbund mit seinen organischen Verflechtungen zur lokalen Politik muss sich der Kritik an der Militarisierung des Volkstrauertags stellen und sei es über die Parlamente. Wir erwarten, dass nach gründlicher Diskussion eine Entmilitarisierung des Volkstrauertags stattfindet, dass der Opferbegriff so differenziert wird, dass Täter nicht dahinter versteckt werden können, dass der Text der Tafel der „Wege gegen das Vergessen“ nicht weiter ignoriert wird.
Zuletzt wäre es auch sinnvoll, über den „toten Kameraden“, das Lied aller Militaristen nachzudenken. Zwar wird oft nur die Melodie gespielt, aber das verhindert gerade, dass sich Menschen mit dem Text kritisch auseinandersetzen können. Im Lied wird ein zweifelhafter Begriff von „Kameradschaft“ geprägt, der einer demokratischen Gesellschaft unwürdig ist. Mitleidlos und nur aufs weitere Töten gerichtet heißt es in der letzten Strophe über den von der Kugel getroffenen „Kameraden“ („einen bessern findst Du nicht“): „ Will mir die Hand noch reichen, derweil ich eben lad. Kann Dir die Hand nicht geben, bleib Du im ewigen Leben. Mein guter Kamerad.“
Von der NPD über die Bundeswehr und Schützenvereine können sich fast alle auf diese inhumane Sichtweise von „Kameradschaft“ verständigen. Wer die Gefahr neofaschistischer Gruppen erkennen will, kann sich nicht auf die zahlenmäßige Stärke von Mitgliedern und Anhängern dieser Gruppen beschränken. Die Schnittmengen zur bürgerlichen Gesellschaft sind größer als manche wahrnehmen wollen. Hier ist es nicht damit getan, auf Witz/Schreckfiguren a la Reitz oder Kunkel zu verweisen.
Um einen eigenen Eindruck von diesen Schnittmengen am Volkstrauertag zu erhalten, anbei die Selbstdarstellung der NPD Stolberg vom Volkstrauertag 2009 in Stolberg.
„Während das Interesse der Bevölkerung an Veranstaltungen zum Gedenken an deutsche Soldaten eher gering ist, fanden sich an diesem Volkstrauertag wieder zahlreiche Kameraden am Friedhof Bergstrasse ein, um an der Trauer- und Gedenkfeier des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge für die in zwei Weltkriegen gefallenen deutschen Soldaten teilzunehmen. Anwesend waren Aktivisten von zwei Stolberger Schützenbruderschaften, der Sankt Sebastianus Schützenbruderschaft und der Edelweiß-Schützen, sowie eine Abordnung der Feuerwehr Stolberg, um den Gefallenen der zwei Weltkriege zu gedenken. Wie in jedem Jahr wurden von der NPD Stolberg wieder sechzig Grablichter zur Verfügung gestellt, die auf die Soldatengräber verteilt wurden. Der Spielmannszug der Feuerwehr Stolberg untermalte die Veranstaltung mit zwei musikalischen Beiträgen: zum Anfang wurde „Ich hatt einen Kameraden“ gespielt und zum Ende der Veranstaltung die deutsche Nationalhymme. Soldaten der Bundeswehr legten am Ehrenmal einen Kranz nieder und anschließend gab es eine Rede des Bürgermeisters Ferdinand Gatzweiler. Nach der Begrüssung der anwesenden Gäste, betonte Gatzweiler die Wichtigkeit solcher Gedenkfeiern, damit die Opfer nicht in Vergessenheit gerieten. Es folgte ein Rückblick auf den 1. Weltkrieg, in dessen Verlauf 10 Millionen Menschen ihr Leben gelassen haben, wobei die Verwundeten oder anderweitig Geschädigten noch nicht eingerechnet wären….“
Man muss das Zitat der NPD nicht als Wahrheit nehmen, aber man kann erkennen, wo die Nazis versuchen, an die Mehrheitsgesellschaft anzudocken. Jede Kommune sollte Strategien entwickeln, wie ein solches Andocken verhindert werden kann.