Redebeitrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschist*innen Aachen zum 75. Jahrestages des Tages der Befreiung vom Faschismus – am 8. Mai 2020 am VVN-Denkmal in Würselen.
11. Mai 2020
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Guten Tag, liebe Menschen!
Dieser 8. Mai wird anders werden. Das dachte ich seit dem letzten Herbst. Die VVN hat Kurt Heiler verloren, der durch sein Wissen, Engagement, seine Energie und Hartnäckigkeit praktisch die „Seele der VVN“ war. Jedes Jahr hat Kurt an der Gedenkfeier zur Befreiung von der Nazi-Herrschaft teilgenommen, häufig auch das Grußwort der VVN vorgetragen.
Seit März ist allmählich klar geworden, dass die Gedenkfeier gar nicht in der gewohnten Form stattfinden kann. Das gefährliche Virus mit der tückisch langen Inkubationszeit zwingt uns, neue Formen des Lebens und auch des Gedenkens zu finden.
Die VVN startete eine Online-Petition, den achten Mai zum gesetzlichen Feiertag zu erklären. Das Ziel der Initiatoren ist:
Dann akzeptiert vielleicht auch der letzte Deutsche, dass der 8. Mai 1945 nicht der Tag einer Niederlage ist, sondern der Tag eines großen Gewinns.
Grundlage ist der offene Brief Esther Bejaranos vom 26. Januar 2020, in dem sie Änderungen des Landes fordert, damit Auschwitz sich nie wiederhole.
Bejarano betont, dass Erinnerung die Voraussetzung dafür ist, aus der Geschichte zu lernen. Als Überlebende des KZ Auschwitz erlebte sie das „große Schweigen nach 1945“ – und wie das Unrecht – das mörderische NS-Unrecht – so akzeptiert wurde. Dann erlebten wir, wie Nazi-Verbrecher davonkommen konnten – als Richter, Lehrer, Beamte im Staatsapparat und in der Regierung Adenauer. Wir lernten schnell: die Nazis waren gar nicht weg.
Die Menschen trauerten um Verlorenes: um geliebte Menschen, um geliebte Orte. Wer aber dachte über die Ursachen dieser Verluste nach, fragte, warum Häuser, Städte, ganze Landstriche verwüstet und zerstört waren, überall in Europa? Wen machten sie verantwortlich für Hunger, Not und Tod?
Nur zögerlich entwickelte sich das Bewusstsein, die Wahrnehmung des NS-Unrechts. Aber auch die Rechten, die Alt- und Neonazis und Auschwitzleugner formierten sich.
Inzwischen wird vom Erinnern und Gedenken als einer Gedenkkultur gesprochen. Wir spüren, wie tief viele Menschen bewegt sind, manche haben sich das “Nie wieder” zur Lebensaufgabe gemacht.
Diese Betroffenheit muss zum Handeln führen, es muss gefragt werde, wie es so weit hat kommen können. Es muss gestritten werden für eine andere, bessere Gesellschaft ohne Diskriminierung, Verfolgung, Antisemitismus, Antiziganismus, ohne Ausländerhass! Nicht nur an Gedenktagen!
Es ist unerträglich, wenn heute wieder Naziparolen gebrüllt werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todeslisten kursieren. Wir wollen uns nicht gewöhnen an Meldungen über antisemitische, rassistische und menschenfeindliche Attacken in Berlin und anderswo, in Halle, wo nur stabile Türen die jüdische Gemeinde schützten, aber zwei Menschen ermordet wurden.
Wir wollen:
Dass wir alle aufstehen, wenn Jüdinnen und Juden, wenn Roma oder Sinti, wenn Geflüchtete, wenn Menschen rassistisch beleidigt oder angegriffen werden!
Dass ein lautes “Nein” gesagt wird zu Kriegen, zum Waffenhandel. Wer den letzten Krieg vergisst, der bereitet schon den nächsten vor.
Dass wir gegen die Ausbeutung der Menschen und unseres Planeten kämpfen, Hilfesuchende solidarisch unterstützen und Geflüchtete aus Seenot retten. Eine Gesellschaft muss sich messen lassen an ihrem Umgang mit den Schwächsten.
Wir fordern:
Entschlossenes Handeln gegen das Treiben der Neonazis.
Dass die Diffamierung von Menschen und Organisationen aufhört, die entschlossen gegen rechts handeln.
Der 8. Mai muss ein Feiertag werden!
Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschlagung des NS-Regimes. Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit.
Und dann können wir, dann kann ein Bundespräsident vielleicht irgendwann sagen:
Wir haben aus der Geschichte gelernt. Die Deutschen haben die entscheidende Lektion gelernt.
Verlesen am VVN-Denkmal in Würselen am 8. Mai 2020.