Redebeitrag der VVN-BdA Aachen auf der Fahrrad-Demonstration gegen die geplante Verschärfung des Versammlungsgesetzes NRW

geschrieben von VVN-BdA Aachen

3. Juni 2021

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Antidemokratische Tendenzen in der Polizei

Rechtsextreme Netzwerke und Chatgruppen innerhalb einzelner Landespolizeibehörden, die Weitergabe sensibler Daten aus Polizeicomputern an Rechtsextreme, Polizeiangehörige, die durch Rassismus auffallen und offen Sympathien für Rechtsaußenformationen hegen, und Verbindungen von Polizeibeamten in die sogenannte Querdenker- und Reichsbürgerszene: Neu ist diese Konjunktur des Komplexes Polizei und Rechtsextremismus nicht, es handelt sich vielmehr um ein politisches Dauerthema.

Rückblick

In den frühen 1990er Jahren wurde die Polizei mit massiver Fremdenfeindlichkeit und Rassismus konfrontiert, einer sich rasch ausbreitenden rechtsextremen Jugendszene und einem sprunghaften Anstieg schwerer Gewalttaten. Die Polizei stand wiederholt in der öffentlichen Kritik durch umstrittene Einsätze, taktische Fehleinschätzungen und mangelnde Präsenz bei pogromartigen Krawallen, wie etwa gegen die Aufnahmestelle für Asylbewerber und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen 1992 oder beim Brandanschlag auf ein Haus mit türkischstämmigen Bewohnerinnen in Solingen 1993.

Es waren jedoch nicht nur das provokative Auftreten und die militanten Aktionen von Neonazis allein, die die Polizei in eine Auseinandersetzung mit dem Komplex Rechtsextremismus drängten. Auch im Inneren der Polizei stellten rechtsextreme Einstellungen und Handlungen zu dieser Zeit ein deutliches Problem dar. Dazu gehörte der wiederkehrende Vorwurf, Opfer rassistischer Straftaten würden von Polizeiangehörigen wie Kriminelle behandelt, ihnen Hilfe und Schutz verweigert. Fälle, in denen Polizistinnen und Polizisten in rechtsextreme Aktivitäten verwickelt waren oder offenkundig rechtsmotivierte Gewalt von ihnen ausging, machten bundesweit Schlagzeilen.

Rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen

Große Resonanz erhielt 1996 das Forschungsprojekt „Fremdenfeindlichkeit in der Polizei?“. In der Studie wurden Erfahrungen und Sichtweisen von Polizeibeamten im Umgang mit ethnischen Minderheiten erfasst und umfassend ausgewertet.

Ungefähr bis 2000 hatte sich die deutsche Polizeiforschung in erster Linie auf Einstellungen und Orientierungsmuster von Angehörigen der Polizei sowie auf institutionelle Anpassungsprozesse konzentriert. Das Interaktionsgeschehen etwa zwischen Polizei und Minderheiten war dabei kaum betrachtet worden. Fortan stand auch die Interaktion der Polizei mit Teilen der Gesellschaft im Fokus.

Racial-Profiling und Institutioneller Rassismus

In diesem Zusammenhang sind in den vergangenen Jahren vermehrt Personenkontrollen durch die Polizei auf gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage zum Gegenstand kritischer Betrachtung geworden. Bei dem dort beanstandeten „Racial“- oder auch „Ethnic-Profiling“ handelt es sich um eine polizeiliche Kontrollpraxis, „bei der ohne konkrete Indizien für einen Verdacht das äußere Erscheinungsbild, etwa die Hautfarbe oder andere sogenannte ethnische Merkmale, als Entscheidungsgrundlage für bestimmte polizeiliche Maßnahmen herangezogen wird. Den kontrollierten Personen werden pauschal bestimmte polizeilich relevante Verhaltensmuster zugeschrieben.“ Dies ist ein grundsätzliches menschenrechtliches Problem.

Eng verbunden mit der kritischen Diskussion um Racial- beziehungsweise Ethnic-Profiling ist der Vorwurf eines „institutionellen Rassismus“ in den Polizeibehörden. Schon in den 1990er Jahren wurde in kritischen Teilen der Öffentlichkeit über institutionellen Rassismus in der deutschen Polizei diskutiert. Wichtige Impulse für die weitere Auseinandersetzung lieferte der sogenannte Macpherson-Report, der die Ermittlungen der Londoner Metropolitan Police im Nachgang des rassistisch motivierten Mordes an Stephen Lawrence 1997 kritisch analysierte. Darin wurde institutioneller Rassismus definiert als „das kollektive Versagen einer Organisation, für Menschen bezüglich ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft geeignete und professionelle Leistungen zu erbringen. Er lässt sich in Prozessen, Einstellungen und Verhaltensweisen festmachen, welche auf eine Diskriminierung durch unbewusste Vorurteile, Ignoranz, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotypen hinauslaufen.“

2010 wurde umfassend empirisch untersucht, ob auch für die deutsche Polizei von institutionellem Rassismus als einem stabilen Phänomen gesprochen werden kann. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, dass in allen Gesprächen mit Polizeiverantwortlichen diskriminierendes Verhalten abgelehnt wurde und man sich keiner Benachteiligung bestimmter Personengruppen bewusst war. Die Autorinnen und Autoren der Studie bezweifelten die Glaubhaftigkeit dieser Aussage zwar nicht, gaben jedoch zu bedenken, „dass es dabei gar nicht ‚um den Vorwurf bösabsichtlichen Handelns‘ geht, sondern darum, dass diskriminierendes Verhalten von Polizeibeamten gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen, ganz überwiegend nicht explizit und intentional, sondern durch die vorhandenen Strukturen und Regelungen, also implizit und kaum merklich‘ geschieht“. Leider sind es eben diese unbewussten Einstellungen und Assoziationen, die das Verhalten und Handeln steuern.

VVN-BdA NRW

Im Zuge der Ermittlungen gegen die rechtsextreme Gruppe „Nordkreuz“ sind SEK-Verbindungen in Mecklenburg-Vorpommern offen gelegt worden.

Ein Verwaltungsangestellter im Polizeipräsidium Hamm steht in einer direkten Verbindung zu der rechtsterroristischen „Gruppe S“.

Von einer Gruppe die polizeilichen Objektschutz vor der Aachener Synagoge durchführten, wurden über den Polizeifunk „Heil-Hitler-Rufe“ übertragen.

Am 15. Mai 2021 trug ein Beamter der 17. Bereitschaftspolizei-Hundertschaft in Münster einen Aufnäher „Panther Panzerkampfwagen V“ auf seinen Rucksack geklettet. Ein Panzer war abgebildet, den die Wehrmacht im zweiten Weltkrieg einsetzte.

Forderungen

Zur Bekämpfung antidemokratischer Einstellungen in der Polizei fordert die VVN:

  1. NRW Innenminister Reul auf, einen lückenlosen Bericht vorzulegen.
  2. Das NRW Innenministerium soll ein „Braunbuch-Polizei“ anlegen und kontinuierlich fortführen
  3. Der Öffentlichkeit soll mitgeteilt werden, welche beamtenrechtlichen Sanktionen gegen die betroffenen Beamten durchgeführt worden sind.
  4. Die VVN-BdA fordert eine Verschärfung des Disziplinarrechts mit einem eigenen Paragraphen für Polizeiangestellte und Beamte. Gegen rechtsextreme, rassistische und antidemokratische Einstellung von Dienstkleidungsträgern erwarten wir ein sehr hartes und unerbittliches Vorgehen.
  5. Bei kleineren Verstößen fordern wir eine Nachschulung der betroffenen Beamten ein. Bei mittleren und größeren Verstößen muss eine sofortige Entfernung aus dem Polizeidienst angestrebt werden.
  6. Ein unabhängiger Sachverständiger muss beauftragt und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet werden. Die VVN-BdA kann der Landesregierung NRW eine größere Anzahl von hochrangigen Sachverständigen – vertraulich – benennen.
  7. Weiterhin fordert die VVN-BdA NRW, dass alle in den letzten 3-5 Jahren erhobenen Rassismusvorwürfe und dadurch bedingte Übergriffe der Polizei erneut vor dem jetzt bekannten rechtsextremen Hintergrund geprüft und bewertet werden.
  8. Der Landtag soll durch den jeweiligen Innenminister mindestens einmal jährlich im Haupt- und Finanzausschuss über die rechtsradikalen Tendenzen in NRW und deren Schlussfolgerungen öffentlich unterrichtet wird.