Ein europäisches Mahnmal für NS-Opfer: 100.000 Stolpersteine
10. Juni 2023
Die FIR und ihre Mitgliedsverbände möchten heute Danke sagen für ein großartiges Erinnerungsprojekt, das mittlerweile in vielen europäischen Städten zu finden ist, die „Stolpersteine“ – Messingtafeln eingelassen in Fußgängerwegen mit den Namen von NS-Opfern. Ende Mai 2023 verlegte der Künstler Gunter Demnig den 100.000. Stolperstein in Nürnberg.
Begonnen hatte es mit einer Erinnerungsaktion an den 50. Jahrestag der Deportation von Kölner Roma und Sinti im Mai 1940. Damals markierte er eine Schriftspur in der Kölner Altstadt zur öffentlichen Erinnerung an die Deportation von tausend Menschen. Die öffentliche Debatte um diese Aktion führte ihn dazu, mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, den Stolpersteinen, an das Schicksal der Menschen an ihrem letzten Wohnort zu erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die meisten von ihnen sind in Haftstätten und Vernichtungslager verschleppt worden.
Es ging Gunter Demnig mit der Aktion darum, die Menschen hinter den grausamen Zahlen der faschistischen Verfolgung und Vernichtung wieder in Erinnerung zu rufen. Die Stolpersteine enthalten den Namen, den Grund der Verfolgung, das Geburtsjahr, die bekannten Verfolgungsorte und einen Hinweis auf das Todesdatum, falls es bekannt ist. Von daher kann er Kritik an den Stolpersteinen, man würde erneut die Opfer „mit Füßen treten“, überhaupt nicht akzeptieren. Er ist überzeugt, wenn junge Menschen mit solch einem persönlichen Schicksal plötzlich um die Ecke konfrontiert werden, sei das eine andere Art von Geschichtsunterricht.
Ursprünglich hatte er die Idee, einheitliche Wandtafeln zu installieren. Er ist jedoch davon abgekommen, weil er Sorge hatte, dass die Mehrheit der Immobilienbesitzer sich dagegen stellen würde. So sei die Idee geboren, auf den öffentlichen Straßenraum auszuweichen.
Und tatsächlich gibt es immer wieder politische Konflikte um diese Form des öffentlichen Erinnerns, sei es, dass an Frauen und Männer aus dem kommunistischen Widerstand oder an Opfer der Verfolgung aus Gründen ihrer sexuellen Orientierung erinnert werden soll. Mehrfach gab es Versuche, solche Steine zu verhindern. Jedoch gelang es den Antifaschisten zumeist, Lösungen zu finden, die die Verlegung er Erinnerungszeichen ermöglichten.
Zum Erinnerungsprojekt Stolpersteine gehört zudem die Recherche, die der Verlegung eines jeden einzelnen Steines vorausgeht. Wer einen Stolperstein verlegen möchte, wird Pate und forscht selbst nach: Wer wohnte in diesem Haus? Wohin wurden diese Menschen verschleppt? Wie und wo wurden sie ermordet? Gibt es noch Angehörige? Durch diese Recherche finde eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit statt, wie sie intensiver kaum vorstellbar ist.
Die Stolpersteine werden bis heute in Handarbeit hergestellt, weil dies nach Demnig im Gegensatz zur maschinellen Menschenvernichtung in den Konzentrationslagern steht. Seit 2005 wird er von dem Bildhauer Michael Friedrichs-Friedlaender unterstützt, der die Steine seiner Werkstatt im Künstlerhof Berlin-Buch anfertigt.
Die Stolpersteine werden bündig in den Bürgersteig eingesetzt. Dies geschieht unmittelbar vor dem letzten vom Opfer frei gewählten Wohnort. Sind die Wohnhäuser der Opfer nicht mehr erhalten, wurden einige Stolpersteine auf oder vor entstandenen Freiflächen verlegt. Die Stolpersteine gehen nach der Verlegung in das Eigentum der Stadt oder Gemeinde über, die gemeinsam mit den Paten für die Pflege Verantwortung übernimmt.
Inzwischen verlegte Gunter Demnig diese Stolpersteine in mehr als 1250 deutschen Städten und Gemeinden und in 31 Ländern Europas. Mehrere Internetangebote listen alle Städte und Gemeinden auf. Viele Mitgliedsverbände der FIR und ihre regionalen Gliederungen haben sich für die Verlegung der Stolpersteine in ihren jeweiligen Ländern und Städten eingesetzt. So wurden schon 2007 unter Teilnahme von MEASZ in Ungarn dort die ersten Stolpersteine verlegt. Kürzlich konnten wir von der Stolperstein-Verlegung in Italien gemeinsam mit dem Mitgliedsverband ANED berichten. Mittlerweile ist es ein europäisches Mahnmal, für das wir dem Künstler Gunter Demnig und allen Unterstützern zu Dank verpflichtet sind.