Vogelsang: Nazi-Bauschrott für 45 Mio aufgehübscht
13. November 2016
Ausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“, Ausstellung „Wildnis(t)räume“, NS-Ordensburg, NS-Ordensburg Vogelsang, Umbau der NS-Ordensburg, Vogelsang
In der Eifel oberhalb der Urfttalsperre sind die Umbauarbeiten der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang abgeschlossen. Der Umbau kostete ca. 45 Millionen Euro, ein Großteil dieses Geldes entstammen Fördertöpfen der EU. Die EU-Gelder standen erst zur Verfügung, nachdem die Bürger*innen der Stadt Aachen mit einem Bürgerentscheid das priorisierte Projekt einer modernen Straßenbahn abgelehnt hatten. Mit den unerwartet frei gewordenen EU-Geldern und dem Argument, Arbeitsplätze zu schaffen, wurde die unterentwickelte Eifelregion gekauft, dem Projekt Vogelsang zuzustimmen.
Entstanden ist das „Forum Vogelsang IP“, von dem die Betreiber erhoffen, einen „touristischen und bildungspolitischen Leuchtturm der Region“ erschaffen zu haben. Lange wurden auch Pläne verfolgt, mit einem Krimihotel und Kirmes den Tourismus anzukurbeln, für diesen Quatsch konnte jedoch kein Investor gefunden werden.
Zwei Dauerausstellungen wurden nun eröffnet. „Wildnis(t)räume“ für die Natur des Nationalpark Eifel und „Bestimmung: Herrenmensch – NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen“. Daneben wurde in den letzten Jahren bereits eine „Akademie Vogelsang IP“ gegründet, die Geländeführungen und ein breites Bildungsprogramm für Jugendliche und Erwachsene bereithält.
Die Burg Vogelsang wurde 1934 bis 1939 im Auftrag des Reichsorganisationsleiters der NSDAP Robert Ley, errichtet. Ley war auch Reichsleiter der „Deutsche Arbeitsfront DAF“ und konnte für Vogelsang auf das Vermögen der aufgelösten Gewerkschaften zugreifen. Ähnliche Bauten entstanden im bayerischen Sonthofen und in Krössinsee in Pommern (im heutigen Polen). In allen drei Einrichtungen, deren elitärer Charakter durch die Bezeichnung als „Ordensburgen“ unterstrichen wurde, sollte der „Führernachwuchs“ der NSDAP ausgebildet werden. Die Schüler waren Männer geringen Bildungsniveaus, die für die Verwaltung besetzter Gebiete im Osten und die Umsetzung der Vernichtungsziele vorgesehen waren. Leute fürs Grobe halt. Dementsprechend standen auf dem Lehrplan nicht nur Schulungen in „Rassenpolitik, Geopolitik und Geschichtspolitik“. Mehr Zeit war für Wehrsport, Boxen, Schwimmen und Reiten vorgesehen. Eine Festlegung, die Ley folgendermaßen begründete: „Wir wollen wissen, ob diese Männer den Willen zum Führen in sich tragen, zum Herr-sein. So werden sie reiten lernen, nicht um einem gesellschaftlichen Vorteil zu huldigen, sondern […] um das Gefühl zu haben, ein lebendes Wesen absolut zu beherrschen.“
Ein erster Lehrgang auf Burg Vogelsang fand von Juni 1937 bis Oktober 1938 statt, der nächste ab Dezember 1938 war wegen des Beginns des Zweiten Weltkriegs bereits der letzte. Es folgten eine Nutzung als Wehrmachtseinrichtung, als Lazarett und als Adolf-Hitler-Schulen der Region. Seit 1946 wurde das Areal zunächst von den Briten, ab 1950 von der belgischen Armee als Übungsgelände genutzt, im Dezember 2005 zogen sich die Belgier zurück, das Areal fiel an die Bundesrepublik Deutschland.
Auf der offiziellen Eröffnungsfeier am 11. September 2016 sprach die NRW-Familienministerin Christina Kampmann vom größten Konversionsprojekt seit 25 Jahren, weil die Anlage zuvor sechs Jahrzehnte militärisch genutzt worden war. Ihr Ministerium will ausreichend Mittel im Rahmen der Grundförderung für NS-Erinnerungsorte bereitstellen, um Vogelsang als Lernort für Demokratie und Verantwortung zu etablieren und Menschenfeindlichkeit zu begegnen. Für den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien ergriff Dr. Günter Winands das Wort. Im Rahmen der neuen Gedenkstättenkonzeption der Bundesregierung wurde und wird Vogelsang als Erinnerungsort von Tätern gefördert, um anhand von Täterbiographien aufzeigen zu können, wie Menschen Teil der Tötungsmaschinerie der Nazis wurden. Er sprach von einem Spannungsverhältnis „Faszination und Verbrechen“, das in Vogelsang thematisch und aufklärerisch aufgegriffen werde.
Tatsächlich war das Bestreben der Betreiber von Anfang an, mit dem Grusel der Nazi-Vergangenheit zu spielen und beispielsweise mit einem Krimi-Hotel zu ergänzen, um ein touristisches Leuchtturmprojekt in der abgelegenen Nordeifel zu erschaffen. Als Neo-Nazis dann mehrfach organisiert auf dem Gelände auftauchten, wurden die ersten rein touristischen Pläne korrigiert.
Was ist aus Vogelsang geworden?
Der ursprüngliche Kostenansatz wurde um ca. 10 Millionen Euro überschritten. Ein wesentlicher Grund lag in der Fehleinschätzung der Bausubstanz der Nazianlage. Nicht in ausreichender Tiefe in den Fels eingelassene Grundmauern, unsachgemäße Verbindungen des Bauwerks mit dem Berg und viele andere Mängel der ursprünglichen „Ordensburg“ ließen Architekten in der Umbauphase von „Pfusch am Bau“ sprechen, der erst im Zuge des Umbaus selbst sichtbar wurde. Vogelsang erwies sich als bauhistorisch und bautechnisch wertlose NS-Schrottanlage, und dieser Schrott wurde mit dem Umbau aufgewertet. Ein schickes gläsernes Eingangsportal auf dem ehemaligen Zentralplatz „Adlerhof“, eine phantastische Panoramaterrasse und große Mauerdurchbrüche, die aus den Gängen der Burganlage großartige Blicke in die Landschaft freigeben, haben die Anlage enorm aufgewertet, ohne sie auch nur symbolisch in ihrem Bestand anzugreifen. Wer wird sich darüber wohl freuen?
Die Landesvereinigung der VVN-BdA NRW hatte im Jahre 2008 gewarnt, die Ordensburg aufzuwerten und die Zuständigen mit einer ausführlichen Stellungnahme „VVN-BdA sagt Ja zum Naturschutz und Nein zum Nazi-Kult“ konfrontiert, nachzulesen auf http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0409_vogelsang.htm. Wenngleich es lohnenswerte Aspekte gibt, nach Vogelsang zu fahren, müssen wir im Wesentlichen die damalige Kritik an den Plänen aufrechterhalten. Doch es ist zu spät, das Geld ist jetzt verbaut.
Ausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“
Die zentrale Ausstellung „Bestimmung: Herrenmensch. NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen“ stellt die Geschichte Vogelsangs und das Leben der NSDAP-Ordensjunker in hunderten Dokumenten dar. Eindrucksvoll vermittelt wird der Versuch der NSDAP, Führer für den Führerstaat heranzubilden und diese vollends rassistischer Ideologie, dem Führerprinzip und dem Anspruch des arischen Herrenmenschen zu unterwerfen. Relativ breiten Raum nehmen auch jüngste Forschungsergebnisse ein, die das verbrecherische Wirken des Führernachwuchses in den besetzten Gebieten zeigen. Die meisten der Vogelsang-Täter sind später dann in der Bundesrepublik strafrechtlich nicht weiter belangt worden.
Die Ausstellung wirft in gelungener Weise einen Blick auf die Täter von Vogelsang, die Ordensburgschüler inbegriffen. Insoweit kann die Ausstellung auch als Lernort einen Beitrag gegen Menschenfeindlichkeit leisten. Doch ein antifaschistischer Lernort muss sich auch mit relevanten Fragen zum Faschismus befassen. Hier hat die Ausstellung eklatante Schwächen. Beispielsweise spielen die Fragen in der Ausstellung keine oder eine geringe Rolle: Welche gesellschaftlichen Kräfte hatten ein Interesse an diesem Herrschaftsmodell – Welche Rolle spielte die Wirtschaft bei der Etablierung und Sicherung des faschistischen Herrschaftsmodells – Die Frage nach dem in der ganzen Gesellschaft verankerten Antisemitismus – Die Bedeutung des Antikommunismus, mit dem große Teile der Bevölkerung den „Feldzug Barbarossa“ gegen die Sowjetunion ertrug; ebenso wenig ist präsentiert die Bedeutung des antifaschistischen Widerstands, der historisch den wertvollsten Stoff für einen Lernort liefert.
Damit entspricht die Ausstellung dem neuen Gedenkstättenkonzept in NRW, das Fragen wie die nach den Verbrechen der Wirtschaft und nach einer Entschädigung der Opfer, z.B. die vergessenen Opfer aus Griechenland, systematisch ausgeklammert hat. Diesen Zusammenhang werden wir in der VVN noch erarbeiten müssen.
Ausstellung „Wildnis(t)räume“
Die Nationalpark-Ausstellung „Wildnis(t)räume“ ist ebenfalls in dem Besucherzentrum untergebracht, das über den alten „Adlerhof“ betreten wird und in die unteren Geschosse der Burganlage führt. In einer großartigen Ausstellung wird den Besuchern die Natur (nicht nur) des Nationalpark Eifel nahe gebracht. Es ist ein emotionales Erlebnis, in den Ausstellungsräumen die reiche Vielfalt der Natur sehen, hören und sogar riechen zu können. Besonders jene, die den Nationalpark Nordeifel als Erholungsgebiet mit wunderbaren Wanderwegen zu genießen wissen, werden diese Ausstellung schätzen.
Aber einen Grund, diese Ausstellung in NS-Gemäuer unterzubringen, wussten die Ausstellungsmacher nicht zu nennen. Außer einem – Geld. Die Fördermittel, die diese Ausstellung ermöglicht hatten, waren gebunden an die NS-Ordensburg. Im Grunde genommen ist es skandalös, eine Naturausstellung nur im Bündel mit einer Aufwertung der NS-Anlage Wanderern und Naturfreunden zur Verfügung zu stellen. Z.B. in der Gemeinde Gemünd, wo die 4. Etappe des Eifelsteigs übergeht in die 5. Etappe, wäre ein guter und gut erreichbarer Ort für diese Ausstellung gewesen.
Ist der Nazicharakter gebrochen?
Es gab bei einigen Verantwortlichen mit dem Umbau das Ziel, der Anlage eine „neue Identität“ zu geben. Die Ausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“ leistet tatsächlich einen Beitrag zur Mahnung zu Demokratie und Toleranz. Die Frage ist dennoch, ist das Ziel, den Nazi-Charakter der Burg und seiner Bestandteil zu brechen, erreicht? Die Zweifel sind stark.
Erstens. Jede Ausstellung kostet einen Erwachsenen ohne Ermäßigung 8,00 Euro Eintritt, ein Kombiticket für beide Ausstellungen kostet 12,00 Euro. Es bleibt abzuwarten, wie viele Menschen für 8,00 Euro respektive additiv 4,00 Euro die Ausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“ angesichts des hohen Eintrittspreises besuchen. Und wer die Ausstellung „Herrenmensch“ nicht besucht, wird schwerlich ein kritisches Verhältnis zu der Gesamtanlage aufbauen können.
Zweitens. Der Umbau der NS-Ordensburg hat die alte Anlage vollends erhalten, ihre architektonische Anlage wurde nicht gebrochen. Anders, als beispielsweise im Nürnberger Reichsparteitagsgelände, bei der das Dokumentationszentrum als gläserner Keil die NS-Anlage sichtbar durchbrochen bzw. durchstoßen hat und das Aufmarschgelände bewusst nicht gepflegt wird, ist hier der neue Eingang ins Besucherzentrum eine optische Aufwertung der im Kern unberührten, im Detail aber aufwendig sanierten NS-Anlage. Und wer auf der neuen Panoramaterrasse, vielleicht ungetrübt von „ungemütlichem Ausstellungsbesuch“ den wunderschönen Blick in die Eifel genießen kann, kann leicht auch Wertschätzung für die NS-Anlage aufbauen.
Drittens. Was kann oder soll Neonazis davon abhalten, die Ordensburg häufiger zu „besuchen“ und sich positiv auf die (Bau-) Leistungen der Erbauer zu beziehen? Mehrfach waren Nazis organisiert „zu Besuch“ auf der Ordensburg, in der Umbauphase haben wir derartiges nicht vernommen. Organisierte Nazitruppen seien nicht gerne gesehen, aber es muss sich noch erweisen, ob die Sicherheitsmaßnahmen ausreichend sind, sie tatsächlich von der Anlage fernzuhalten.
Vogelsang bleibt sauber
Zwischenzeitlich wurde die Ordensburg vergangenes Jahr auch dafür auserkoren, bis zu 900 Flüchtlinge unterzubringen. Doch Vogelsang sei wegen seiner belasteten Historie „politisch ungeeignet“ für die Errichtung von Notunterkünften, und außerdem sei die Abgelegenheit Vogelsangs „schlecht für die Integration der Flüchtlinge“. Der Geschäftsführer der Standortentwicklungsgesellschaft befürchtete, die „temporäre Unterbringung von Flüchtlingen“ könne die Gesamtentwicklung beeinträchtigen. Das Anliegen, Flüchtlinge unterzubringen, wurde abgewehrt – die erhofften 1 Million Touristen jährlich bleiben vorläufig vom Anblick von Massenunterkünften mit Menschen unter Residenzzwang und mit Sachmittelzuweisungen verschont. Doch die Gebäude (in der sog. Schelde, also ca. 600 m vor dem eigentlichen Vogelsang-Gelände), sind errichtet und nach dem November ist ein Bezug möglich.
Paul Spiegel: Die Ordensburg bewusst verfallen lassen
Nachdem die belgische Armee angekündigt hatte, die ehemalige Ordensburg Vogelsang zum 1.1.2006 zu räumen, führte die Zeitschrift „Landtag intern“ (Ausgabe 17/2003) ein Interview mit dem damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel.
„Am Lernort Ordensburg Vogelsang lässt sich in der Tat etwas lernen, zum Beispiel können Architekten hier die Selbstinszenierung der Nazis studieren. Aber muss man sie dafür unter immens hohen Kosten sanieren, während man gleichzeitig die KZ-Gedenkstätte Lichtenburg, dem Lager, dessen Häftlinge Buchenwald und Ravensbrück bauen mussten, mit dem Argument hoher Kosten verfallen lässt? Ich meine, die Prioritäten sollten genau andersherum gesetzt werden: die Ordensburg Vogelsang bewusst verfallen lassen und sie in diesem Zustand als Lernort nutzen, dafür aber die KZ-Gedenkstätte Lichtenburg sanieren.“
Paul Spiegel ist der Anblick der schicken Burganlage Vogelsang erspart geblieben, er starb am 30. April 2006 in Düsseldorf.