100 Jahre Hitler-Putsch
10. November 2023
Der 9. November gilt in manchen Geschichtsbüchern als „deutsches Datum“, wurde doch an diesem Tag 1918 der deutsche Kaiser gestürzt, fand 1938 die Reichspogromnacht (die Nazis nannten sie „Kristallnacht“) und 1989 der Fall der Berliner Mauer statt. Oftmals wird dabei der 9. November 1923„vergessen“, der gescheiterte Hitler-Ludendorff-Putsch, mit dem die völkisch-faschistischen Kräfte in Deutschland zum ersten Mal sichtbar einen Machtanspruch erhoben.
Der „Marsch auf Rom“ der italienischen Faschisten, der zur Machteinsetzung von Mussolini geführt hat, galt als Vorbild für die deutschen Faschisten. Sie glaubten, fünf Jahre nach dem Beginn der Novemberrevolution und in Folge der innenpolitischen Destabilisierung der Reichsregierung durch Hyperinflation, militärischen Einsatz gegen die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen und die Auseinandersetzungen um den Hamburger Aufstand der KPD nun ihrerseits einen Machtanspruch stellen zu können.
Sie verbündeten sich in Bayern mit Teilen der Freikorps, die schon 1920 beim Kapp-Putsch versucht hatten, die gewählte Reichsregierung zu stürzen. Damals ließ der Generalstreit – getragen von den Gewerkschaften und Arbeiterparteien – diese Aktion der alten Militaristen und völkischen Kräfte scheitern.
Drei Jahre später versuchten die deutschen Faschisten ehemalige Vertreter der Reichswehr in ihre Putschpläne zu integrieren. Hitler und die NSDAP hatten den Putsch bewusst in Bayern geplant, weil sich die bayerische Landesregierung in Opposition zur Reichsregierung befand. Die Situation war eskaliert, als Reichskanzler Gustav Stresemann im September 1923 den „passiven Widerstand“, der von der Regierung Wilhelm Cuno gegen die Ruhrbesetzung geführt wurde, abbrach. Gegen diesen „Verrat“ setzte die bayerische Regierung unter Ministerpräsident Eugen Ritter von Knilling auf die „bayerische Ordnungszelle“, von der eine „nationale Diktatur“ in Berlin errichtet werden sollte, um gegen die französische Politik an Rhein und Ruhr vorzugehen. Dazu ernannte die bayerische Staatsregierung den früheren Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr zum diktatorischen Generalstaatskommissar: Er erklärte umgehend den Ausnahmezustand, setzte Grundrechte außer Kraft und übernahm das Kommando von bayerischen Truppenteilen der Reichswehr. Daher erwartete die NSDAP, Kahr für ihren Putsch gewinnen zu können. Die Faschisten hatten jedoch nicht verstanden, dass zu diesem Zeitpunkt die einflussreichen Kräfte des deutschen Kapitals und der alten Eliten mit dem Agieren der Reichsregierung durchaus zufrieden waren, sodass jegliche Unterstützung des Hitler-Ludendorff-Putsches ausblieb. Bereits die Bayerische Polizei stoppte unter Einsatz von Schusswaffen den symbolischen „Marsch auf die Feldherrnhalle“ in München und beendete den Putsch. Gut ein Dutzend NSDAP-Anhänger starben im Schusswechsel. Sie galten anschließend als „Blutzeugen der Bewegung“.
Dass die reaktionären Kräfte jedoch die faschistische Option auch für Deutschland nicht vorschnell aufgeben wollten, zeigte sich in der Reaktion der kaiserlich geprägten Justiz auf diesen Angriff auf die Weimarer Republik. Adolf Hitler wurde im Februar 1924 in einem „Hochverratsprozess“ in München als „Rädelsführer“ nur zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt, die er in der Festung Landsberg verbüßen musste. Ludendorff wurde „wegen seiner Verdienste im Weltkrieg“ in dem Prozess freigesprochen.
Hitlers Haftbedingungen waren so, dass er in der Zelle nicht nur regelmäßig Besuch von seinen Gesinnungsgenossen bekommen konnte, sondern in dieser Zeit seine politischen Grundsätze in dem Buch „Mein Kampf“ ausformulieren konnte. Hier wurden die imperialistischen und rassistischen Kernthesen des deutschen Faschismus in aller Klarheit formuliert. Von da an konnte keiner behaupten, man habe nicht wissen können, welche Ziele der deutsche Faschismus habe. Bereits nach neun Monaten wurde Hitler „wegen guter Führung“ entlassen.
Der Hitler-Putsch von 1923 und der juristische Umgang mit den Putschisten ist ein erschreckendes Beispiel dafür, welche Folgen es hat, wenn staatliche Institutionen ihrer demokratischen Verantwortung nicht gerecht werden und antifaschistischer Widerstand aus der Gesellschaft dem Aufschwung (neo-)nazistischer Kräfte nicht bereits in den Anfängen vehement entgegentritt. An diese Lehre erinnert die FIR anlässlich dieses 100. Jahrestages des faschistischen Putschversuches in Deutschland.