Pressefreiheit, Atomwaffen und die neue Kriegsrhetorik

geschrieben von Johannes Bosse

13. Juli 2023

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Auf dem Flaggentag der MayorsForPeace am 08.07.23 in Aachen hat Johannes Bosse für das „Bündnis Keine Atomraketen rund um Aachen“ eine Rede gehalten. Er ist Mitglied der DFG-VK, er war Beobachter bei der letzten Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT) der UNO in New York, außerdem ist er aktiv bei Fridays For Future und EndFossil.

Der Inhalt seiner Rede ist hier unverändert dokumentiert, allerdings sind von ihm selbst einige Formulierungen geändert und Ergänzungen hinzugefügt worden.

Die US-Pläne von 1958 China atomar anzugreifen

Vergangenen Monat ist Daniel Ellsberg im Alter von 92 gestorben. Ellsberg hat 1971 die sogenannten „Pentagon Papers“ veröffentlicht, die damals gezeigt haben, dass die US Regierung den Krieg in Vietnam weiter eskalieren wollte, obwohl sie tiefe Zweifel hatte, ob man den Krieg überhaupt noch ‚gewinnen‘ konnte. Vor zwei Jahren, im Alter von 90 Jahren, hat er nochmals neue Top Secret Dokumente veröffentlicht. Die Dokumente hatte Ellsberg bereits vor über 50 Jahren an sich genommen aber erst 2021 veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine interne Studie der US-Regierung bezüglich der Taiwankrise von 1958. Was war 1958 los? In dem damaligen Konflikt zwischen China und Taiwan hatte China begonnen, einige von Taiwan kontrollierte Inseln zu beschießen. Die von Ellsberg veröffentlichten Dokumente zeigen, wie aggressiv damals US amerikanische Militärs für einen nuklearen Erstschlag argumentiert haben. Ein Vorschlag war es, damit zu beginnen, chinesische Luftwaffenstützpunkte atomar zu bombardieren. Wenn das nicht ausreichen würde bzw. den Konflikt nicht beenden würde, dann „Gäbe es keine Alternative, als Atomangriffe auf Chinas Festland bis nach Shanghai durchzuführen“.[1] Solche Angriffe würden „mit ziemlicher Sicherheit einen nuklearen Vergeltungsschlag gegen Taiwan oder möglicherweise Okinawa, die japanische Insel, auf der die amerikanischen Streitkräfte stationiert waren, beinhalten.“ Im Klartext bedeutet, dass Millionen von Menschen in Folge sterben würden. Aber „wenn es die nationale Politik ist, die Insel zu verteidigen, dann müsse man also die Konsequenzen akzeptieren.“ [1]

Johannes Bosse

Eigentlich kann man kaum Worte finden zu beschreiben was dort besprochen wurde. Gleichzeitig zeigt es aber auch so deutlich die Natur von Atomwaffen auf. Eine Handvoll Menschen sind in der Lage, über das Überleben von Millionen von Menschen bzw. von Milliarden von Menschen zu entscheiden. Denn wenn einige Atomwaffen eingesetzt werden, kann es zum nuklearen Winter kommen, in dessen Folge die Nahrungsmittelversorgung zusammenbricht und zivilisiertes menschliches Leben auf großen Teilen des Planeten nicht mehr möglich ist. Für mich folgen aus den Dokumenten zwei Dinge:

1. Whistleblower und Journalist:innen müssen geschützt werden.

Es ist eine der Säulen der Demokratie ist, dass mündige Bürger*innen miteinander sprechen und diskutieren. Aber damit wir überhaupt wissen, worüber wir sprechen, ist eine freie Presse, die uns darüber informiert, welche Verbrechen auf der Welt stattfinden oder in welche Verbrechen unsere Regierung involviert ist, unerlässlich. Sonst können wir zwar miteinander sprechen, aber das hat dann nicht mehr mit einer politischen Auseinandersetzung zu tun, als ein Kaffeeklatsch unter Freund:innen. Menschen wie Daniel Ellsberg riskieren oft bewusst ihr gesamtes Leben in Freiheit, um die Gesellschaft über Verbrechen aufzuklären. Verbrechen, die entweder an der Gesellschaft selbst oder im Namen der Gesellschaft, sprich von der eigenen Regierung im Ausland, begangen werden.
Die zwei wohl bekanntesten Fälle von politisch verfolgten Whistleblowern bzw. Journalisten im Westen sind heutzutage Edward Snowden und Julian Assange. Edward Snowden lebt im Exil in Russland und Julian Assange, der Gründer von WikiLeaks, der unter anderem die Kriegsverbrechen der USA im Irak aufgedeckt hat, wird gerade, und man kann es nicht anders sagen, im Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsch zu Tode gefoltert.[2] Foltern ist dabei nicht mein Begriff, sondern der Begriff von Nils Melzer, dem früheren UN Sonderbeauftragen für Folter.[3,4]

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Flaggehissens am 8. Juli 2023, Aachen Markt

Es ist aber gleichzeitig auch die politisch falsche Analyse zu denken, dass wir unseren Politiker:innen erklären müssten, weshalb es wichtig ist, Whistleblower und Journalist:innen zu schützen. Denn wenn es darum geht, den Umgang von Whistleblowern in Ländern, die unsere „Feinde“ sind zu kritisieren, dann ist unsere Politik ganz vorn mit dabei. Christian Lindner postet alle vier bis sechs Wochen mal, dass er doch für die Freilassung von Navalny ist. Natürlich sind wir alle für die Freilassung von Navalny aber es ist einfach eine groteske Doppelmoral, immer nur das zu kritisieren, was unsere „Feinde“ machen, aber dazu wo wir/der Westen involviert sind, zu schweigen. Das Gleiche gilt auch für große Teile der Grünen Partei. Annalena Baerbock war, bevor sie ins Amt gekommen ist, für die „sofortige Freilassung“ von Julian Assange [5]. Seitdem sie im Amt ist, schweigt sie dazu.[6,7] Deshalb müssen wir es Politiker:innen nicht erklären, sondern müssen politischen Druck aufbauen sie dazu drängen Stellung zu beziehen.

2. Kriegerische Auseinandersetzungen zwischen atomaren Großmächten sind eine existenzielle Bedrohung

Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, wieso Daniel Ellsberg die Dokumente vor über 50 Jahren erlangt aber erst 2021 veröffentlicht hat? Der Grund dafür war, dass er verstanden hat, dass die Spannungen über Taiwan zwischen China und den USA wieder ansteigen. Bezogen auf die Politiker:innen und Berater:innen der damaligen US-Regierung antwortete Ellsberg: „Ich glaube nicht, dass die Teilnehmer dümmer oder gedankenloser waren als die dazwischen oder im aktuellen Kabinett.“
Ein aktuelles Beispiel für die verantwortungslose Rhetorik der Großmächte, konnte man Anfang des Jahres in folgender Überschrift in der WashingtonPost lesen: U.S. general warns troops that war with China is possible in two years“

Ja, ich kriege eine Gänsehaut wenn ich das lese. Ein Krieg zwischen den USA und China, zwei hochgerüsteten Atommächten, bedeutet im Prinzip, dass wir uns voneinander verabschieden können. Das war’s. In dem Artikel der WashingtonPost geht es dann weiter, dass der General sich das natürlich nicht wünschen würde aber es wäre halt sehr wahrscheinlich und deshalb müsste er seine Truppen darauf einstellen. Das ist die Rhetorik, in der wir uns aktuell befinden. Dabei müssen wir auch nicht in die USA schauen, um diese neue Rhetorik zu beobachten. Marie Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, forderte letztes Jahr im Mai eine Neuausrichtung der Bundeswehr mit einer konfrontativen Stellung gegenüber Russland: „Was wir brauchen – das mag martialisch klingen – Sie brauchen, aus Sicht der Bundeswehr zu agieren, ein Feindbild.

Wir sind als an dem Punkt angekommen, dass deutsche Politiker*innen wieder fordern, dass Russland ‚unser‘ Feindbild ist. Ich möchte dazu sagen, dass es natürlich darum gehen muss, den Krieg in der Ukraine und das damit verbundene Sterben zu beenden. Aber es geht nicht darum, dass Russland unser Feindbild ist. Die Aussage von Strack-Zimmermann ist besonders zynisch, wenn man bedenkt, dass wir wissen mittlerweile wissen, dass die USA bzw. Großbritannien zwei Verhandlungen blockiert bzw. nicht gewollt haben.

Die erste fand im März, also nur wenige Wochen nach dem Ausbruch des Krieges, statt. Der damalige israelische Premierminister Naftali Bennet hatte Verhandlungen angestoßen bzw. zwischen dem Westen, Zelensky und Putin vermittelt. Diese Verhandlungen wurden, Bennet’s eigenen Aussagen nach, von Großbritannien und den USA gestoppt. Die Option „to keep striking Putin“ wurde damals einem möglichen Waffenstillstand bevorzugt. [8a,8b]

Die zweiten Verhandlungen fanden in der Türkei Ende März/Anfang April 2022 statt. Am 09. April 2022 ist der damalige Premierminister Boris Johnson im Prinzip unangekündigt nach Kiew gereist, um Zelenskyy zwei Dinge zu vermitteln:

  1. Putin sei ein Kriegsverbrecher, man sollte ihn unter Druck setzen und nicht mit ihm verhandeln.[9]
  2. Auch wenn die Ukraine bereit ist, einige Garantieabkommen mit Putin zu unterzeichnen, sind sie [UK/der Westen] es nicht.[9]

Hierbei muss man allerdings deutlich erwähnen, dass es sich um eine anonyme Quelle aus Zelenskyy’s engerem Kreis handelt und es nicht geklärt ist, ob Johnson’s Worte wirklich der ausschlaggebende Grund für das nicht Zustande kommen der Verhandlungen war. [10,11,12]

Allgemein gilt, dass niemand seriös behaupten kann, dass solche Verhandlungen zum Erfolg bzw. Frieden geführt hätten. Aber es kann doch nicht sein, dass westliche Regierungen die Möglichkeit auf Erfolg behindern, blockieren bzw. unwahrscheinlicher machen. Gleichzeitig zeigt die Aussage Strack-Zimmermans, wie gefährlich es ist, wenn wir außenpolitisch mit doppeltem Maß messen. Denn ich habe nicht gehört, dass Saudi Arabien das neue Feindbild der Bundeswehr ist, seitdem es einen Vernichtungskrieg gegen den Jemen führt. [13] Im Gegenteil, ‚wir‘ liefern Waffen an Saudi Arabien. [14]

Was können wir also tun?

Naja, eigentlich das, was wir immer tun, wenn wir politischen Aktivismus machen. Wir müssen miteinander sprechen, besonders mit Menschen, die eine andere Meinungen haben als wir selbst. Wir müssen wieder lernen, wie wir miteinander diskutieren und uns nicht alle zurückziehen in unsere eigenen Kreise. Wir müssen uns bilden, zusammensetzen und die Aufrüstungs- und Eskalationsspirale beenden. Und da muss man natürlich auch ganz klar sagen, dass wir vor allem das Handeln unserer Regierung beeinflussen können. Es ist unsere Verantwortung, dass unsere Regierung nicht zur Eskalation beiträgt. Damit das in der Realität klappt, müssen wir Dinge zusammen denken. In Deutschland sind 13 Millionen Menschen, 15% der Bevölkerung, armutsgefährdet. Ebenfalls sehen wir, dass für Klimaschutz nie Geld da ist. Zum Beispiel kostet das 9 € Ticket verschiedenen Schätzungen zufolge ca. 10 Milliarden € im Jahr. Das ist laut Christian Lindner nicht finanzierbar. Die 100 Milliarden für die Bundeswehr sind aber natürlich per Fingerschnips da. Dabei sollen diese gleichzeitig nicht genug sein, wie Boris Pistorius im Januar verkündigte. [15]

Zum Schluss möchte ich auch noch mal auf die Klimabewegung, die meine politische Heimat ist, eingehen und sagen: Hey, liebe Klimabewegung, bitte fangt mal an, euch mit diesen Themen zu beschäftigen. Bitte fangt an, in die Friedensbewegung zu gehen. Ich weiß, da sind viele weiße alte Männer und Frauen. Aber who cares? Wir müssen da rein und wir müssen vor allen Dingen aufpassen, dass die Friedensbewegung nicht von rechts unterwandert wird, sondern, dass wir das übernehmen.

Vielen Dank.


Quellen:

[1]https://www.nytimes.com/2021/05/22/us/politics/nuclear-war-risk-1958-us-china.html (Öffnet in neuem Fenster)

[2]https://news.sky.com/story/julian-assange-could-be-effectively-tortured-to-death-in-belmarsh-doctors-claim-11936883 (Öffnet in neuem Fenster)

[3]https://www.deutschlandfunkkultur.de/un-sonderberichterstatter-zum-fall-assange-die-westlichen-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

[4]https://www.youtube.com/watch?v=fjWA6i9nbKk&t=13682s (Öffnet in neuem Fenster)

[5]https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/annalena-baerbock/fragen-antworten/wie-stehen-sie-zum-fall-julian-assange (Öffnet in neuem Fenster)

[6]https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/annalena-baerbock/fragen-antworten/werte-frau-baerbock-warum-aeussern-sie-sich-nicht-endlich-zum-fall-julian-assange (Öffnet in neuem Fenster)

[7]https://www.sueddeutsche.de/politik/julian-assange-olaf-scholz-annalena-baerbock-1.5606603 (Öffnet in neuem Fenster)

[8a]https://www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russland-wer-hat-blockiert-li.314871 (Öffnet in neuem Fenster)

In diesem Artikel wird gesagt, dass die Verhandlungen „blockiert“ wurden. Anscheinend hat er aber auf hebräisch nicht „blockiert“ sondern „gestoppt“ gesagt:https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2023/03/30/hat-der-westen-einen-waffenstillstand-in-der-ukraine-blockiert-interview-mit-naftali-bennett-irrefuehrend-untertitelt/ (Öffnet in neuem Fenster)

[8b]

ab 2:59:38 erklärt Bennet, dass die Option „to keep striking Putin“ bevorzugt wurde:https://www.youtube.com/watch?v=qK9tLDeWBzs&t=11181s (Öffnet in neuem Fenster)

[9]https://www.pravda.com.ua/eng/news/2022/05/5/7344206/ (Öffnet in neuem Fenster)

[10]https://www.zdf.de/nachrichten/politik/wagenknecht-dagdelen-ukraine-krieg-russland-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

[11]https://www.tagesspiegel.de/internationales/die-geschichte-hinter-der-kruden-johnson-theorie-9231021.html (Öffnet in neuem Fenster)

[12]https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-1-vom-18-januar-2023.html (Öffnet in neuem Fenster)

[13]https://www.cfr.org/backgrounder/yemen-crisis (Öffnet in neuem Fenster)

[14]https://www.zeit.de/politik/2023-07/waffenlieferungen-bundesregierung-saudi-arabien-ruestungsbeschraenkungen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F (Öffnet in neuem Fenster)

[15]https://www.zdf.de/nachrichten/politik/pistorius-bundeswehr-sondervermoegen-kampfjets-ukraine-krieg-russland-100.html