Redebeitrag auf der Solidaritätsdemonstration mit dem Widerstand in der Türkei
22. Juni 2013
Die VVN-BdA Aachen unterstützte und beteiligte sich an der Demonstration am 18.06.2013 in Aachen. Im Folgenden veröffentlichen wir einen Redebeitrag auf dieser Demonstration.
„Redebeitrag zu 2. Solidaritäts-Kundgebung mit GEZI PARK, Taksim, Istanbul in Aachen 18. Juni
Liebe Freunde, Genossen, Genossinnen und liebe Çabulcular, Seit dem 27. Mai geht eine Frage um in der Welt „Was passiert in der Türkei?“. Für viele gibt es keine klärenden Worte auf diese Frage. Ich möchte sie dennoch mit den Worten eines deutschen Dichters beantworten: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: NEIN!“ Diese Worte flossen aus der Feder des politisch engagierten Kurt Tucholsky. Genau dieses Nein wurde am besagten 27. Mai in Istanbul von Umweltaktivisten ausgerufen, als es um den Erhalt von ein „paar“ Bäumen im Gezi-Park ging.
Dieses anfangs eher Stumme Nein wurde von Millionen Menschen in der Türkei aufgegriffen, weil sie sich selbst und auch ein stückweit ihr eigenes Nein! darin widererkannten. Spätestens ab hier wurde es allen Aktivisten des Widerstandes klarer denn je: ES GEHT NICHT NUR UM EINIGE BÄUME. Klar wurde ihnen auch, dass sie sich in einem offenen Gegensatz zu ihrer Zeit befanden. In ihnen ging nicht eine heilsversprechnde, amorphe Masse auf. Nein, in ihnen ging die Lust auf, die Lust zu revoltieren. Diese sollte auch ihre Revolte werden, denn sie machten von vornherein deutlich, dass sie von keiner Organisation und von keiner politischen Partei vereinnahmt werden wollten. Etwas nie Dagewesenes wollten sie erproben, ihre eigene Macht.
Seit mehr als zehn Jahren regiert in der Türkei mit der AKP eine islamistisch-faschistische Partei. Mit einer systematischen Politik der Heuchelei hat diese Regierung und ihre Partei versucht, weltweit ein demokratisches Antlitz zu täuschen. Große Teile der Bevölkerung ignorierten diese Heuchelei und erhofften sich von dieser Regierung tatsächliche Veränderungen zum Guten. Sie glaubten ihr tatsächlich, sie würde die politischen Erblasten aus der Junta Zeit von 1980 gänzlich aus dem politischen Leben des Landes verbannen.
Nein! Nichts davon ist bis heute in diesen Zehn Jahren geschehen. Stattdessen Politische Morde wie etwa an dem türkisch-armenischen Publizisten Hrant Dink. Als eine islamistisch-faschistische Bewegung konzentrierte die AKP ihre revanchistische Zerstörungswut auf die institutionellen Einrichtungen des Laizismus, dem Anker der Demokratie in der Türkei. Sie führte einen politischen Kampf für die Verhüllung der Frauen und die Legalisierung von sogenannten privaten Koranschulen, die nichts anderes darstellen als einen Hort der islamistisch-faschistischen, frauenfeindlichen, antidemokratischen und menschenverachtenden Gesinnung.
Wir müssen an dieser Stelle den Antijudaismus hinzufügen. Denn die AKP-Regierung hat sich von einer säkularen Israelkritik verabschiedet und ist an einem offenen, aggressiven und blindwütigen Antijudaismus angekommen. Die islamistische AKP hat, in dem sie die Justiz und Strafverfolgungsbehörden unterwanderte, den demokratischen Rechtsstaat in der Türkei de facto abgeschafft. Staatliche Repressionen, brachiale Gewalt gegen oppositionelle sind seit dem Amtsantritt dieser Regierung an der Tagesordnung. Das Rechtspinzip der Unschuldsvermutung wurde in sein Gegenteil umgemünzt. Jedes widerspenstige Auftreten ist der schonungslosen Willkürjustiz der AKP-Regierung ausgeliefert. Demokratische Grund- und Freiheitsrechte, das Demonstrationsrecht, das Versammlungsrecht sind dem Gnadenakt Recep Tayyip Erdogans ausgeliefert. Alle Rechtsbegehren, jeder Ruf nach Gerechtigkeit wird kriminalisiert, jede widersprechende Meinung wird des Terrorismus bezichtigt, inhaftiert und entrechtet. Überall wo man hinschaut dieselbe hasserfüllte, exzessive Gewalt gegen Andersdenkende und Anderslebende. Während diese Regierung unter Recep Tayyip Erdogan den Rechtsstaat sukzessive aushöhlt, biedert sich die selbsternannte Expertokratie in Staatsfragen aus Medien, Justiz, Politik und Wirtschaft an, in dem sie jedes Verbrechen dieser Regierung bagatellisiert, verharmlost und beschönigt.
Die Öffentlichkeit befindet sich einer Propaganda und Repressionsmaschinerie ausgesetzt, die nicht nur von den tatsächlichen Sorgen des Landes ablenkt, sondern das abscheuliche Bild der Regierungspraxis in der Türkei durch banale Federstriche zu kaschieren versucht, sondern auch die AKP-Ordnung als vermeintlich fortschrittliche Demokratie aufoktroyiert. Die Staatsverschuldung in etwa, hat sich seit dem Amtsantritt dieser Regierung in der Türkei verfünffacht, alle öffentlichen Ausgaben werden durch Verschuldung finanziert. Kurz: Politisch ist die Türkei unter der AKP einer Politik des Kulturkampfes überantwortet, die nicht davor scheut soziale, religiöse, ethnische und politische Differenzen gebieterisch und arrogant gegeneinander auszuspielen. Wirtschaftlich spukt auch in der Türkei der Geist einer neoliberalen Geld- und Wirtschaftspolitik, ähnlich wie wir sie in fast allen europäischen Ländern beobachten können.
Nüchtern betrachtet, befindet sich die Türkei am Rande eines Bankrottes. Einer schwach prosperierenden Wirtschaft steht eine massive Staatsverschuldung gegenüber, die krampfhaft in den Fängen des internationalen Finanzkapitals flattert und soziale Nöte kolossalen Ausmaßes produziert. Wenn wir genauer hinschauen, wird uns nicht entgehen, dass der Widerstand in der Türkei gegen die Politik des Kulturkampfes und gegen die sozialen Entbettungsmechanismen der neoliberalen Politik der AKP gerichtet ist.
Im Kulturkampf gegen die säkulare Ordnung in der Türkei, machte die AKP alle von ihrer islamistischen Vorstellungen abweichenden Lebensformen zur Zielscheibe ihrer brachialen Politik. Diese Politik des Kulturkampfes maßt sich an bestimmen zu dürfen, wie viele Kinder Frauen zu gebären haben oder nicht. Was Menschen zu essen haben oder nicht, woran sie zu glauben haben oder nicht, nicht zuletzt über ihre sexuelle Orientierung. Homosexualität in etwa wurde als eine krankhafte Störung in der körperlichen Veranlagung versucht gesellschaftlich auszumerzen.
In der Amtszeit dieser Regierung ist die Anzahl der Frauenmorde in der Türkei explosionsartig angestiegen. Es vergeht kein Tag an dem nicht mindestens 2 Frauen Opfer von der patriarchalen Männlichkeitsvorstellung wird. Auf offener Straße werden leicht bekleidete Frauen genötigt, beleidigt, drangsaliert und werden immer wieder Opfer von brutalen Übergriffen. Derselbe Mob der vorgestern, ermutigt durch die Erdogan-Rede in Kazçeme, in Istanbuler Straßen wütete, wahllos Menschen attackierte, bedroht schon seit einem Jahrzehnt die Existenz der modernen Frauen, Feministinnen und Lesben.
Liebe Freunde, die laizistische Grundordnung in der Türkei war stets seit der Gründung der Republik ein Garant für die Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft und ein Dorn in den Augen der AKP.
Vier Tote, mehrere hunderte Vermisste, hunderte Menschen erblinden durch die Folgen der von der Polizei eingesetzten Chemikalien; das ist die vorläufige Bilanz der vergangenen Wochen. Tayyip Erdogan hat die gesamte Türkei in nur drei Wochen in eine einzige Gaskammer verwandelt. Dieses Verbrechen an der Menschlichkeit darf nicht ungestraft davonkommen.
Mit dem Vorhaben, die geplante dritte Brücke über den Bosporus, nach dem osmanischen Sultan Yavuz Sultan Selim benennen, löste er eine massive Welle der Empörung aus, da es sich bei diesem Sultan um einen Massenmörder handelt, der seinerzeit tausende von Alewiten hinrichten und massakrieren ließ.
Ich möchte an dieser Stelle keine weiteren Vergleiche ziehen, die zu Irritationen und zur Verstörungen führen könnten, aber eins ist klar: Wir werden alles daran setzen, um Tayyip Erdogan für seine Verbrechen an den Menschen des Widerstandes zu Verantwortung zu ziehen. Er wird sich verantworten müssen, dafür, dass er für den eigenen Machterhalt die Türkei an den Rand eines Bürgerkrieges bringen wollte. Einhellig titulierte in etwa die italienische Presse in ihrer Berichterstattung über die Türkei: „Erdogan hat den Bürgerkrieg ausgerufen“.
Der Verband der Anwälte in der Türkei hat bereits den EU-Rat aufgefordert die Vorfälle in der Türkei nach ihrer Rechtsmäßigkeit zu überprüfen. Und wir fügen hinzu: Wir wollen Erdogan vor dem internatioanlen Menschenrechtstribunal in Den Hag sehen. Denn das Verbrechen, das er begangen hat, steht denen, die jüngst in Den Haag verhandelt wurden in Nichts nach.
Wir klagen Erdogan an
1. Wegen demagogischer Irreführung der Öffentlichkeit, wie durch Behauptungen: die Protestierenden hätten in einer Moschee Alkohol konsumiert oder verschleierte Frauen wären von Demonstranten drangsaliert und enthüllt. Also wegen Volksverhetzung.
Wegen Amtsmissbrauch, weil er den Gouverneur von Istanbul ohne jede Rechtsgrundlage zu seinem Handlanger machte, wobei dieser sich nicht selten treuergeben und behaglich missbrauchen ließ. Auch für ihn gilt massiver Amtsmissbrauch im Auftrag der Regierung. Der Vize-Regierungschef Bülent Arnç drohte mit dem Einsatz der Armee. Dieser unmissverständliche Ruf nach einem Putsch muss von der Generalanwaltschaft in der Türkei unverzüglich mit allen juristischen Mitteln verfolgt werden.
Eine Liste der Rechtswidrigkeit dieser Regierung würde kein Ende finden. Der Gezi-Park wurde zwar geräumt, die Proteste in der Türkei dauern dennoch ungebremst an und erschließen weitere Kreise. Gestern befanden sich die vier größten Gewerkschaften DISK (Arbeiter) KESK (Öffentlicher Dienst) TMMB (Ingenieure und Architekten) TTB (Ärzte Gewerkschaft) mit insgesamt etwa 900. 000 Mitgliedern im Generalstreik. Sie machen den Fortlauf des Streikes von der Haltung der Polizei abhängig, sollte die exzessive Gewaltanwendung anhalten, werden auch die Streiks fortgesetzt.
Nicht zuletzt möchte ich mich bei euch allen bedanken, dafür, dass ihr hier ein starkes Zeichen der Solidarität mit dem Widerstand in der Türkei gesetzt habt.
Ein aller letzter Appell, den ich gerne los werden möchte: Die Solidaritätsdemonstrationen hier werden auch fortgeführt, wie z.B. am kommenden Samstag in Köln. Viele von euch werden sich weiterhin solidarisch zeigen. Haltet bitte alle denkbaren Symbole der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit fern von diesen Veranstaltungen, denn wir alle wissen allzu gut, dass das gefährliche Spiel mit nationalen Symbolen unweigerlich in einen plumpen Rassismus mündet. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.“