Redebeitrag der VVN-BdA Aachen zum 8. Mai – Tag der Befreiung vom Faschismus – in Würselen 2018

geschrieben von VVN-BdA Aachen

13. Mai 2018

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Redebeitrag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschist*innen Aachen zum 8. Mai – Tag der Befreiung vom Faschismus – am 8. Mai 2018 am VVN-Denkmal in Würselen.

DIE HABEN GEDACHT, WIR WAREN DAS

Dies ist der Titel eines Buches in dem Opfer und Hinterbliebene Migrantinnen und Migranten über rechten Terror und Rassismus erzählen. Welche Spuren hinterlassen Rassismus und rechte Gewalt in der migrantischen Community? Wie hat es sich auf die Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße ausgewirkt, dass sie selber dieser Tat verdächtigt wurden? Zu den Vorwürfen der Ermittler gehörten: Streit unter türkischen Geschäftsleuten, Verbindungen zum Rotlichtmilieu, dem Drogenhandel und zur Türsteher-Szene.

Der nachfolgende Beitrag soll den Blick auf den NSU-Terror aus der migrantischen Perspektive wiedergeben.

Fünf Jahre nach dem NSU – Expressionen aus der Keupstraße

Der NSU-Terror hat in der migrantischen Community Wunden aufgerissen und tiefe Spuren hinterlassen. Diese Wunden sind noch heute zu sehen, wenn man sich zu den Tatorten des NSU begibt. Einer dieser Orte ist die Keupstraße in Köln-Mülheim, eine florierende Geschäftsstraße mit türkischen Restaurants, Bäckereien, Juweliergeschäften und Friseurläden. Im Juni 2004 explodierte vor einem Friseurladen eine Nagelbombe mit 700 Zimmermannsnägeln, die viele Menschen zum Teil schwer verletzte. Ein terroristischer Akt wurde einen Tag nach der Tat ausgeschlossen – und das, obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den Anschlag intern als „terroristische Gewaltkriminalität“ einordnete. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sprach von einem „kriminellen Milieu“, welches für das Nagelbombenattentat verantwortlich sei. Welche Erkenntnisse das gewesen sein sollen, wurde nie klar.

Nach dem Nagelbombenattentat fand in der Straße eine Opfer-Täter-Umkehr statt. Die Anwohner und Ladeninhaber der Straße gerieten ins Visier der Ermittlungen und wurden der Täterschaft verdächtigt. Verdeckte Ermittlungen in der Straße sollten Aufschluss darüber geben, was die Polizei damals als plausibel erachtete: ein kriminelles Migrantenmilieu, welches in der Straße dubiose Geschäfte verrichtete. Auch die Presse schlug den Weg der polizeilichen Ermittlungen ein und berichtete in zahlreichen Zeitungsartikeln über ein Rotlichtmilieu, Geldwäsche, Schutzgelderpressungen, einen Kampf der türkischen Türsteher-Szene oder Anfeindungen zwischen der PKK und den Grauen Wölfen. Somit wurden die Straße und ihre Bewohner in Klischees und Rollen hineingezwängt, die nicht der Realität und der Lebenswelt dieser Menschen entsprachen. Argwöhnisch betrachtete man das Treiben in der Straße bis zu dem Zeitpunkt, an dem der NSU sich selbst enttarnte.

VVN-Denkmal in Würselen
Foto: T. Jülicher

Zwölf Jahre nach dem Nagelbombenattentat und fünf Jahre nach der Aufdeckung der NSU-Mordserie begibt sich BAHAR ASLAN im Spätsommer 2016 auf die Keupstraße, um den Wunden nachzuspüren, die der NSU hinterlassen hat .

Warum und weshalb einige nicht reden wollten, kann man schwer beurteilen. Vielleicht spielte die Angst vor erneuten negativen Schlagzeilen eine Rolle, denn bei jenen, die sich auf ein Gespräch eingelassen haben, spürte man deutlich, wie tief die Wunden von damals noch sitzen. Der Vertrauensbruch, der nach dem Nagelbombenattentat durch die Keupstraße ging, ist heute noch in den Aussagen einzelner herauszuhören:

„Wir leben seit Jahren hier und werden wie Ausländer behandelt. Meine Tochter spricht besser Deutsch als Türkisch. Auch sie wird manchmal schief angeguckt. Warum dieser Hass? Warum diese Morde? Was haben wir getan?“

„Wir sind Bürger zweiter Klasse. Früher hatte ich viele deutsche Kunden. Nach dem Anschlag sind es deutlich weniger geworden. Keiner will mehr in die Straße. Nur wenn BIRLIKTE ist, kommen alle. Danach und auch schon davor hatten wir keine Solidarität. Ich verstehe das nicht. Sind wir denn als Menschen nichts wert“

„Ich denke nicht, dass da irgendwas aufgeklärt wird. Also nicht dass man mich falsch versteht, aber der deutsche Staat steckt in diesen Morden mit drin. Glauben Sie, dass man da was aufdecken wird? Warum verschwinden Akten? Warum sterben Zeugen? Ich verfolge den Prozess durch die türkische Presse. Man lügt uns an!“

„Wir wussten von Anfang an, dass es keiner von uns war. Aber keiner wollte uns glauben. Und dann kam ans Licht, dass es Nazis waren. Und jetzt erzählen sie uns, dass alles Pannen gewesen sind. Mein Vertrauen in diesen Staat ist erschüttert. Wem sollen wir noch glauben?“

Während der Gespräche mit den Menschen merkte man: Es ist nicht nur die Bombe, die sie getroffen hat, sondern auch die negative Markierung in der Öffentlichkeit als Migranten, als Muslime, die Erfahrung der Ausgrenzung sowie die empfundene Ohnmacht gegenüber dem Alltagsrassismus. Die Aufdeckung einer rassistischen Mordserie hat im Leben der Anwohner und Geschäftsleute wenig geändert. Sie kämpfen immer noch mit rassistischen Ressentiments und einer Gesellschaft, die auch nach Aufdeckung des rechten Terrors wenig gelernt zu haben scheint. Viele werden immer noch mit Vorurteilen und Klischees konfrontiert und berichten von einer deutlich spürbaren Benachteiligung bei Bewerbungen oder auf dem Wohnungsmarkt. Fünf Jahre nach der Aufdeckung des NSU sind in der Keupstraße nicht nur die offenen Wunden zu spüren, die der NSU hinterlassen hat, sondern auch die Sehnsucht der Menschen nach gesellschaftlicher Solidarität, nach Zuspruch und Halt.

Wann werden wir dem gerecht?