Redebeitrag der VVN-BdA Kreisvereinigung Aachen auf der Kundgebung „Abrüsten statt Aufrüsten“, 5.12.2020 – Aachen Markt – zur zivil-militärischen Zusammenarbeit
13. Dezember 2020
Bundeswehr, Corona, Covid-19, Gesundheitswesen, Katastrophenschutz, Pandemie, Seuchenbekämpfung, Technisches Hilfswek, THW, zivil-militärische Zusammenarbeit
Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als das „Technische Hilfswerk (THW)“ im Jahre 2008 eine Rahmenvereinbarung mit der Bundeswehr unterzeichnet hatte, waren die Weichen für eine Militarisierung des Katastrophenschutzes gestellt. Die zig-Tausende Kriegsdienstverweigerer, die beim THW ihren Ersatzdienst geleistet haben, waren düpiert. Damals hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) bundesweit im Rahmen ihrer Friedensarbeit begonnen, die Zivil-Militärische-Zusammenarbeit zu kritisieren. Und deshalb melde ich mich für die VVN in der Coronakrise zu Wort.
In Aachen haben die Krisenstäbe von Stadt und Städte Region Aachen bereits einen zweiten Hilfeleistungsantrag an die Bundeswehr gestellt. Auf dieser Grundlage arbeiten neben den 47 Personen im Gesundheitsamt nun auch 20 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Callcenter zur Kontaktpersonennachverfolgung.
„Wir brauchen jede Unterstützung. Deshalb sind wir dankbar, dass die Bundeswehr hier schon wertvolle Hilfe leistet,“ sagt die Leiterin des Gesundheitsamtes, Dr. Monika Gube. Ist das so, müssen wir dankbar sein für die sicher notwendige Kontaktpersonennachverfolgung, die von der Bundeswehr geleistet wird? An Stelle der Soldaten könnten auch Menschen, gegen gerechte Bezahlung eingesetzt werden, die durch die Pandemie zu Hause sitzen oder noch besser, das Gesundheitswesen wird wieder Personell vernünftig ausstattet. Deshalb meine ich, dankbar, Nein, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens. Katastrophenschutz, wie z. B. auch Seuchenbekämpfungen, gehören seit jeher zu den Kernaufgaben staatlicher Fürsorge. Spätestens seit 2013 wissen wir aus einer Studie beim Robert-Koch-Institut, dass eine Pandemie wie jetzt mit Corona droht. Es ist aus meiner Sicht nicht zu akzeptieren, dass die Vorbereitungen auf eine mögliche Pandemie vernachlässigt wurden. Schlimmer noch. In nahezu allen Bereichen des Gesundheitssystems hat es in den letzten Jahren eine Unterfinanzierung, in der Folge einen Abbau von Bettenkapazitäten und Abbau von Reserven der Gesundheitsbehandlung gegeben. Und auf der anderen Seite sind hunderte von Milliarden Euro in Großbanken zu deren Rettung geflossen, Großkonzerne mit prächtiger Dividendenausschüttung erhielten staatliche Hilfe, und der sogenannte Verteidigungshaushalt ist kontinuierlich auf heute über 50 Mrd. Euro aufgebläht worden. Da möchte ich der guten Frau Gube vom Gesundheitsamt sagen – Nicht Dank für Nothilfe steht an, sondern spätestens jetzt Empörung über das systematische Aushungern des Gesundheitswesens in den letzten Jahren.
Der zweite Grund meiner Ablehnung der Bundeswehrdienstleistungen im Gesundheitsamt liegt in der Natur der sogenannten „Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit“. Die Bundeswehr hat das „Kommando Territoriale Aufgaben Bundeswehr“ geschaffen mit Sitz in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin. Von dort werden die sogenannten Landeskommandos für zivil-militärischen Zusammenarbeit geführt, diese wiederum führen in NRW 54 Kreisverbindungskommandos. Eine streng zentralistische Struktur.
Wenn eine Kommune der Meinung ist, Hilfe von dieser Struktur zu erbitten, muss sie diese beantragen, die Antragsbearbeitung wird nach oben durchgereicht und letztendlich in Berlin beschieden. Es liegt also im alleinigen Befugnis der Bundeswehr zu entscheiden, ob und wem Hilfe gewährt wird. Zusammen mit einer aufwändigen Presse- und Werbearbeit der Bundeswehr werden die Unterstützungsleistungen auch funktionalisiert, um das Ansehen des deutschen Militärs zu verbessern, um also die politischen Möglichkeiten zu erhöhen, dieses Militär ohne größere Gegenwehr in Marsch zu setzen. Deshalb rede ich davon, dass mit der Pandemiebekämpfung zugleich eine Militarisierung des Gesundheitswesens und der öffentlichen Debatte stattfindet.
Das verdeutlicht auch ein Blick auf die personelle Struktur der „Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit“. Die in den Regierungsbezirken, Kreisen und kreisfreien Städten aufgestellten Verbindungskommandos sind ausschließlich mit ortsansässigen Reservisten besetzt. Jedes Verbindungskommando besitzt rund 5.300 Reservisten, davon 3.500 Offiziere. In über 400 Verbindungskommandos ist also eine riesige Armee abgebildet, bestehend aus Reservisten, also ehemaligen Soldatinnen und Soldaten, und organisiert in den Strukturen der sogenannten zivil-militärischen Zusammenarbeit. Mit anderen Worten: Katastrophenschutz und Pandemiebekämpfung müssen dafür herhalten, neben der Bundeswehr eine weitere, sagen wir eine Schattenarmee von Reservisten zu bevorraten.
Damit muss Schluss gemacht werden. Es kann nicht sein, dass Pandemiebekämpfung auf Truppenübungsplätzen gelehrt und gelernt wird, denn dort finden die Bildungsveranstaltungen der Reservistinnen und Reservisten vorrangig statt.
Um es auf den Punkt zu bringen: Niemand braucht Bundeswehrsoldaten. Nicht in Afghanistan und Mali, und auch nicht im Callcenter im Tivoli.